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Lieferdienst Gorillas: Profit auf dem Rücken der Fahrer*innen

Demonstration, im Vordergrund ein Banner mit Aufschrift "Workers rise up"

Einige hundert Menschen sammeln sich vor einem Warenlager des Lieferdienstes Gorillas in Kreuzberg. Viele von ihnen arbeiten dort, kommen in den Uniformen des Berliner Start-Ups zur Demo. Sie demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen und die Wiedereinstellung ihrer kürzlich gefeuerten Kolleg*innen.

Gorillas ist ein 2020 gegründeter Lieferdienst aus Berlin, der in mehreren deutschen Großstädten aktiv ist. Das Start-up wirbt damit, Lebensmittel und andere Supermarktwaren innerhalb von zehn Minuten zu liefern. Bestellungen lassen sich einfach per App aufgeben.

Dahinter steht ein System von zahlreichen Warenhäusern in den Innenstädten, in denen Angestellte die Bestellungen verpacken. Fahrradkurier*innen, sogenannte Rider, fahren sie dann zum Ziel – alles innerhalb von Minuten. Der Konzern ist seit seiner Gründung enorm gewachsen, lieferte in den letzten sechs Monaten 4,5 Millionen Bestellungen aus und sicherte sich kürzlich fast eine Milliarde Dollar Finanzierung.

Prekäre Arbeitsbedingungen für Beschäftigte

Bei den Gorillas-Ridern kommt davon wenig an. Seit Monaten protestieren sie für bessere Arbeitsbedingungen, so auch diesen Dienstag. Die Liste der Vorwürfe ist lang: ausbleibende Löhne, mangelhafte Ausrüstung, zu kurze Pausen, fehlende Sozialversicherung.

Mensch in Gorillas-Uniform mit Schild: "Delete Gorillas / Oi Kağan! Get off our backs!"
Ein Rider auf der Demonstration - CC-BY-NC-SA 4.0 Franziska Rau

In Berlin streikten die Beschäftigten immer wieder, blockierten Warenlager, und organisierten Demonstrationen. Das „Gorillas Workers Collective„, ein Zusammenschluss von Berliner Ridern, berichtet auf Twitter von den Aktionen und den Problemen der Arbeiter*innen.

Ein Mann in Gorillas-Uniform erzählt auf der Demo, er sei hier, weil Gorillas seine Angestellten schlecht behandle. Persönlich sei er teilweise nicht oder zu spät bezahlt worden und hätte viel kürzere Pausen zwischen seinen Schichten gehabt als gesetzlich vorgeschrieben. Inzwischen arbeite er nicht mehr dort, sein Vertrag sei nicht verlängert worden.

Ein anderer Rider sagt, grundsätzlich gefalle ihm der Job. Doch seit er im März diesen Jahres angefangen hat, bei Gorillas zu arbeiten, seien die Arbeitsbedingungen immer schlechter geworden.

Fast alle der Menschen, die bei Gorillas arbeiten, sind Migrant*innen, die aus verschiedenen Gründen auf den Job angewiesen sind. Ihre Arbeitsverträge sind meistens auf wenige Monate befristet.

Fahrer*innen bezahlen mit ihrer Gesundheit

Ein Fahrer erzählt in seiner Rede, wie das Tragen der schweren Rucksäcke bei vielen Ridern zu chronischen Rückenproblemen führt. Gorillas rate Angestellten davon ab, Arbeitsunfälle als solche zu melden und feuere regelmäßig Menschen, die für längere Zeit krankgeschrieben sind. FFP2-Masken würden auf der Arbeit nicht zur Verfügung gestellt werden, hochwertige Regenkleidung auch nicht.

Auch in einem Beitrag von Monitor berichten mehrere Fahrer*innen von Verletzungen bei der Arbeit. Der enorme Zeitdruck mache das Radeln in den Innenstädten noch gefährlicher als ohnehin schon. Dafür erhalten die Rider 10,50 Euro pro Stunde, plus Trinkgeld.

Auch von Ridern, die in Obdachlosenunterkünften schlafen, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen können, ist auf der Demo die Rede. Gorillas wirbt derweil in seinem Manifest damit, ein „fahrerzentriertes Unternehmen“ zu sein und Kunden „sofortigen Zugang zu [ihren] Bedürfnissen zu ermöglichen“.

Redner*innen auf der Demo verurteilen dieses Geschäftsmodell. Es gehe vor allem um Bedürfnisse von Menschen, „die genug Geld haben, um es für überteuerte Online-Einkäufe auszugeben“. Es gebe zwar legitime Gründe, um online zu bestellen, etwa die Angst vor Corona, körperliche Einschränkungen oder Zeitmangel wegen prekären Lebensverhältnissen. Doch genau für diejenigen, die diese Möglichkeit bräuchten, sei Gorillas zu teuer.

Auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org nach den auf der Demo geäußerten Vorwürfen schickt Gorillas zunächst nur eine automatisierte E-Mail-Antwort, in dem sie auf angebliche Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen verweisen.

Fahrer*innen anderer, ähnlicher Lieferdienste sind ebenfalls auf der Demo zu sehen, etwa von Lieferando und foodpanda. Auch eine Supermarktkassiererin, ein Click-Worker bei Amazon und eine Vertreterin der Berliner Krankenhausbewegung halten Reden, erklären sich solidarisch mit dem Arbeitskampf bei Gorillas und berichten von ihren eigenen Erfahrungen mit Ausbeutung am Arbeitsplatz. „Wir halten diese Gesellschaft am Laufen und wir haben die Kraft, für eine neue zu kämpfen“, heißt es in einer Rede.

Massenhafte Kündigungen wegen Teilnahme an Streiks

Anfang Oktober feuerte Gorillas zahlreiche Arbeiter*innen ohne Vorwarnung, laut dem Gorillas Workers Collective in einigen Warenlagern fast die gesamte Belegschaft. Grund sei die Beteiligung an „illegalen Streiks“, sagte Gorillas gegenüber dem Spiegel. Viele der Betroffenen wehren sich vor Gericht, dutzende Klagen laufen noch.

Demo zieht vor einem Gorillas-Gebäude vorbei
„Boycott Gorillas“ ruft die Demo, als sie an einem Firmengebäude vorbeiläuft. - CC-BY-NC-SA 4.0 Franziska Rau

Rider gewinnen vor Gericht

Auch die Gründung von Betriebsräten versucht Gorillas zu erschweren: in Berlin plant die Geschäftsführung die Einführung eines Franchise-Modells. Die Warenlager würden so als eigenständigen Unternehmenseinheiten betrieben werden. Laut Martin Bechert, dem Anwalt einiger Rider, habe die Zerstückelung des Unternehmens zur Folge, dass die Interessensvertretung der einzelnen Kuriere keine Chance auf Organisation habe. Er spricht von „Union Busting“ – der systematischen Bekämpfung gewerkschaftlicher Organisation durch das Unternehmen.

Während der Kundgebung liest eine Rednerin eine Mail vor, die sie gerade erhalten hat: Das Wahlkomitee sei aufgelöst, da seine Mitglieder durch die Umstrukturierung nicht mehr bei Gorillas Operations Germany, sondern bei verschiedenen neuen Unternehmen angestellt seien. Doch gestern entschied das Arbeitsgericht Berlin, dass die Wahlen wie geplant Ende November stattfinden dürfen. Gorillas hatte versucht, gerichtlich einen sofortigen Abbruch der Wahl zu erzwingen. Als Grund hatte das Unternehmen Formfehler und die Umstrukturierungen angeführt.

Gorillas kann trotzdem versuchen, die Wahl im Nachhinein anzufechten. Für die Rider ist die Entscheidung des Gerichts erst einmal eine gute Nachricht.


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