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Lieferando: Abmahnung nach öffentlicher Kritik

Demo von Lieferando-Fahrer:innen. Auf dem Demoschild steht: "Ausrüstung ist keine Privatsache"

Nils wohnt in Köln, ist seit drei Jahren Fahrer bei Lieferando und will seinen Nachnamen lieber nicht öffentlich lesen. Neben seiner Arbeit betreibt er den Twitter-Account @FabioLeone94, wo er viel über seine Arbeit bei dem Lieferunternehmen schreibt – und über Probleme dabei.

Vor einigen Monaten hat er per DGSVO-Abfrage alle Daten angefordert, die Lieferando über ihn hat. Über das Ergebnis dieser Anfragen, die auch andere Fahrer*innen gestellt hatten, berichtete der BR: In einem Jahr sammelte das Unternehmen über vollbeschäftigte Fahrer*innen teils mehr als 100.000 Datenpunkte. Eine „dauerhafte Überwachung der Arbeitsleistung“ wäre aus Sicht von Stefan Brink, dem Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg, „klar rechtswidrig“, sagte dieser damals.

Interne App macht Probleme

Gesammelt werden diese ganzen Daten über Scoober, die interne Lieferando-App, die sich alle Fahrer*innen auf ihren Handys installieren müssen. Und es war wieder diese App, die Nils am 13. September in einem Twitter-Thread kritisierte.

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Die App sei das wichtigste Arbeitsmittel für die Fahrer*innen, schrieb er. Doch es gebe große Probleme: „Seit einigen Wochen funktioniert die Telefonanlage in der Zentrale nicht, man ist also auf den Chat angewiesen“, schreibt er. Doch auch der Chat für die individuellen Städte mit Warnungen für Unwetter funktioniere bei manchen Handymodellen nicht.

Auch die Navigation mache Probleme. Adressen würden sehr oft auf der Karte falsch angezeigt, Fahrer*innen müssten die Adressen also in eine andere Navigations-App eintippen. „Diese App wird immer schlimmer und es wird immer unkomfortabler, damit zu arbeiten“, so Nils auf Twitter.

Dadurch, dass Fahrer*innen ihre Privathandys benutzen müssten, würden dort auch die Adressen und Privatnummern von Kund*innen gespeichert, twittert er noch. „IT und Datenschutz also eine Katastrophe.“

Netzpolitik.org fragte bei Lieferando nach und wollte unter anderem wissen, ob dem Unternehmen die Probleme mit der App bekannt seien und es etwas dagegen unternimmt, sowie ob auf den Handys der Fahrer*innen tatsächlich Adressen und Telefonnummern der Kund*innen gespeichert sind. Eine Sprecherin von Lieferando antwortete: „Die Fahrer-App entspricht den geltenden Datenschutzbestimmungen, und die
ermittelten Daten (wie Zeiten und Orte) sind unerlässlich, damit der Lieferservice ordnungsgemäß funktioniert“ – etwa um Bestellungen zuzuweisen oder damit Kund*innen ihren Bestellstatus überprüfen können. „Die Daten werden nicht für unerlaubte Leistungs- oder
Verhaltenskontrolle genutzt. Wir informieren unsere Fahrer*innen, wie und zu welchem Zweck die Daten genutzt werden“, so die Sprecherin weiter.

Screenshot der Scoober-App mit einer Karte mit Ausschnitt des Kölner Doms
Ob der Domprobst wohl schon weiß, dass er Restaurantinhaber ist? Das gemeinte Restaurant liegt einen Kilometer entfernt. - Screenshot: Scoober-App

Abmahnung, Abmahnung, Abmahnung

Am gleichen Tag, an dem Nils den Thread veröffentlichte, schickte Lieferando ihm zwei Abmahnungen – sie bezogen sich auf ältere Tweets. Es handele sich bei diesen nicht mehr um sachliche Kritik, so die Abmahnungen. Dem stimmt Nils im Gespräch mit netzpolitik.org zu: „Das hatte mit sachlicher Kritik nichts mehr zu tun.“ Er hat inzwischen beide Tweets gelöscht.

Ein paar Wochen später kam dann die nächste Abmahnung, diesmal wegen des Threads zur Scoober-App. Lieferando wirft Nils darin vor, seine Kritik zuerst öffentlich geäußert zu haben. Lieferando werde damit in der Öffentlichkeit im Internet angeprangert. Dadurch sei dem Unternehmen die Chance genommen worden, auf die Missstände zu reagieren, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen. Stattdessen hätte er diese Kritik zuerst intern äußern sollen, schreibt Lieferando.

Nils behauptet, er habe genau das gemacht. Schon vor Monaten habe er persönlich mit einem Vorgesetzten vor Ort über diese Probleme geredet. Anfang September habe er dann noch eine Mail hinterhergeschickt, auf die er erst nach mehr als einer Woche eine Antwort bekommen habe. Auf eine Anfrage von netzpolitik.org bei Lieferando, ob Nils sich tatsächlich schon vor seinen Posts an interne Stellen gewandt hatte und welche Regeln für Fahrer*innen bei öffentlicher Kommunikation gelten, antwortete das Unternehmen nicht.

„Mir fehlen gerade ein bisschen die Worte.“

„Dass auf Mails nicht geantwortet wird, die Erfahrung hab ich auch gemacht“, sagt Fabian Schmitz im Gespräch mit netzpolitik.org. Er ist Lieferando-Betriebsrat in Köln, wo auch Nils arbeitet, und kennt den Fahrer. „Er spricht Probleme an, die 10.000 Mitarbeiter in Deutschland betreffen“, sagt er. „Da sollte erstmal der Arbeitgeber seinen datenschutzrechtlichen Verpflichtungen nachkommen.“

Er bestätigt, dass es Probleme mit der Navigation gibt. Das verursache auch Fehler mit der Abrechnung von zurückgelegten Kilometern und das gehe ins Geld. Besonders bei Autofahrern, die ihre Tankfüllung zahlen müssen. Bei einem Autofahrer habe man in einem Monat eine Abweichung von 100 Kilometern festgestellt, so der Betriebsrat.

„Ich selbst hatte mit meinem alten Handy auch immer nur dann einen Chat, wenn die App es wollte und keiner konnte mir IT-technisch erklären, was das Problem war“, sagt ein anderer Betriebsrat, der anonym bleiben möchte. Seit Mitte August gebe es Probleme mit der Telefonanlage. Die App würde unter iOS bis zu sechs Gigabyte an mobilen Daten benutzen – über die Mobilfunkverträge der Fahrer*innen.

„Wir machen seit Wochen Druck auf die fehlerhafte Berechnung der Kilometer und weisen seit Monaten auf die katastrophale IT-Abteilung hin, die sich einen Scheiß um Scoober kümmert. Meistens bekommen wir von unseren Ansprechpartnern nur ‚ist uns bekannt‘ oder ‚wir sind dran‘“, so der anonyme Betriebsrat.

Das hessische Landesarbeitsgericht hatte im März bestätigt, dass ein Lieferdienstfahrer Anspruch auf ein Rad und ein Smartphone während seiner Arbeitszeit habe. Netzpolitik.org hat Lieferando gefragt, ob das Urteil bereits Auswirkungen für die Liefer-Fahrer:innen hat und ob es die Möglichkeit gibt, von Lieferando dienstliche Smartphones und Mobilfunk-Verträge zu erhalten. Die Unternehmenssprecherin bat um Verständnis, dass man „zu laufenden Gerichtsprozessen grundsätzlich keine Aussagen treffen“ könne.

Screenshot aus der Scoober-App für Lieferando-Fahrer
Immer wieder Probleme. - Screenshot: Scoober-App

Das Vorgehen von Lieferando gegenüber Nils findet Betriebsrat Schmitz nicht gut. „Mir fehlen gerade ein bisschen die Worte.“ Der Betriebsrat werde sich wegen der Abmahnungen auch bei Lieferando melden. In den Abmahnungen heißt es nämlich, dass diese auch zur Kenntnisnahme an den Betriebsrat weitergeleitet werden – das sei aber nie geschehen, behauptet Schmitz.

Fahrer*innen sollen nicht mit Presse reden

Es sei nicht das erste Mal, dass das Unternehmen verhindern wollte, dass Fahrer*innen mit Problemen an die Öffentlichkeit gingen, sagt der Betriebsrat: Vor einigen Monaten habe es einen Vorschlag für eine Betriebsvereinbarung gegeben, laut der Fahrer*innen nicht mit Vertretern der Presse reden sollten. Da habe aber der Betriebsrat nicht mitgemacht.

Im Frühjahr 2020 hatte Lieferando seinen Betriebsräten schon einmal einen Entwurf für ein „Corporate Agreement“ gemacht. Damit sollten lokale Betriebsräte unter anderem Zuständigkeiten an den Gesamtbetriebsrat abtreten und sich verpflichten, vor Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen die Zustimmung des Unternehmens einzuholen.

Und: Betriebsräte und Lieferando sollten die Kommunikation an die Belegschaft und an die Presse, zum Beispiel durch soziale Medien, „vertrauensvoll untereinander abstimmen“. Man solle also alle Parteien „mit hinreichendem zeitlichen Vorlauf“ über solche Kommunikation informieren. Auch damals hatten die Betriebsräte nicht zugestimmt.

Verfahren läuft

Bei der aktuellen Sache, der dritten Abmahnung gegen Nils, könne er nicht direkt aktiv werden, so Betriebsrat Schmitz. Auch eine eventuelle Kündigung könne man nicht direkt verhindern, aber Bedenken einlegen. Das würde dann bei einem späteren Kündigungsschutzverfahren vom Gericht berücksichtigt. „Ich wünsche ihm alles Gute und werde ihn bestmöglich unterstützen“, so Schmitz zu netzpolitik.org.

Nils fühlt sich kaum an seinen Arbeitgeber gebunden, denn er bekommt ihn nie zu Gesicht: „Mein Chef ist die App, ich fahr von Zuhause, ich geh alle drei Monaten in den Hub für Masken und Desinfektionsmittel – da von Treuepflicht zu sprechen, das ergibt sich für mich nicht.“

Seinen Job mag Nils trotzdem – bloß die Arbeitsbedingungen seien „stark verbesserungswürdig“, sagt er zu netzpolitik.org. Bis auf die Entfristung aller Fahrer*innen im August würde es eher schlimmer. Deshalb setzt er sich für seine Kolleg*innen ein: Momentan steckt er in einem Verfahren zur Frage, ob Lieferando seinen Fahrer*innen Diensthandys stellen muss. Am 25. Oktober gibt es eine erste Güteverhandlung.

„Ich möchte jetzt anderen helfen und die Bedingungen mitverbessern, denn es gibt halt nunmal Leute, die sind wirklich auf solche Jobs angewiesen“, sagt Nils.


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