Das Kottbusser Tor in Berlin ist ein historischer Ort – und für viele ein Hotspot der Kriminalität. Die Politik will dem mit einer Wache und Videoüberwachung begegnen. Damit gefährden sie einen wichtigen Kulturraum inmitten der Hauptstadt, sagen die Anwohner:innen.
Mitten in Berlin-Kreuzberg liegt das Kottbusser Tor. An der vielbefahrenen Kreuzung geht es dreckig, laut und schnelllebig zu. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat dem Ort zuletzt abgesprochen, Deutschland zu repräsentieren. Das bayerische Volksfest Gillamoos entspräche dem eher, so Merz.
Der „Kotti“ ist ein polarisierender Ort. Und er ist einer der letzten öffentlichen Räume Berlins, der sich noch nicht stromlinienförmig in die Stadt einfügt. In den Achtzigerjahren stand der Kotti noch für die damalige Hausbesetzer:innenszene, heute steht er für migrantische Diversität. Linke Veranstaltungsräume wie das „Aquarium“ grenzen an Schnellrestaurants, Gemüsehändler und Friseure. Zwei U-Bahn-Trassen kreuzen sich hier. Wirklich ruhig wird es rund um die Kreuzung nie.
Manche sehen den Kotti vor allem als einen „kriminalitätsbelasteten Ort“, wie die Polizei es nennt. Seit dem Februar dieses Jahres soll die Kottiwache die Kriminalität bekämpfen und weiterem Tourismus den Weg ebnen. Zwei Kameras filmen den Eingang zur neuen Polizeistation. Sie sollen das Objekt schützen.
Seit 2017 denkt die Politik über solche Maßnahmen nach. Bereits der Koalitionsvertrag des letzten rot-rot-grünen Senats sah Videoüberwachung am Kotti vor. Und auch die derzeit regierende Große Koalition will sie ausbauen.
Rechtsstaat soll nicht zurückweichen
Für Franziska Giffey – sie war im Frühjahr noch Regierende Bürgermeisterin Berlins – ist die Kottiwache „ein klares Zeichen, dass der Rechtsstaat nicht zurückweicht“. So zitiert sie die Boulevardzeitung BZ Berlin zur Eröffnung der neuen Wache. Und Giffey räumt ein: „Natürlich sind die Probleme nicht weg, weil hier eine Wache ist.“
Ercan Yaşaroğlu sieht den Kotti vor allem als „Begegnungsraum der Kulturen“. „Hier treffen mehr als 120 Nationalitäten aufeinander“, sagt er. Der Kotti liegt ihm sichtlich am Herzen. Yaşaroğlu gehört das dortige „Café Kotti“. Es grenzt direkt an die neue Wache.
Yaşaroğlu ist in den Achtzigerjahren als politisch Verfolgter aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Im Café Kotti hat er seinen ersten Kaffee in Berlin getrunken. Später hat Yaşaroğlu das Café von einem Freund übernommen.
Zu dem Café gelangen Besucher über eine Treppe in den ersten Stock. Mittlerweile nehmen auch all jene, die zur Kottiwache wollen, diese Treppe. Als ehemaliges Café ist die Wache von zwei großen Fensterfassaden in Nord- und Südrichtung umgeben. Die Lamellen an den Fenstern der Kottiwache sind stets geschlossen.
Berliner Datenschutzbehörde zweifelt an Rechtmäßigkeit
Die Kottiwache sitzt auf einer Häuserbrücke über die Adalbertstraße. Bisher gibt es zwei Kameras. Sie filmen den Eingangsbereich der „Nebenwache am Kottbusser Tor“, wie sie offiziell heißt. Die Kameras sollen aufzeichnen, „wer das Objekt betritt“. Eine solche Überwachung sei rechtens, argumentiert der Innensenat, da die Kottiwache ein „gefährdetes Objekt“ sei.
Die Berliner Datenschutzbehörde zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung. Eine Sprecherin der Datenschutzbehörde teilt netzpolitik.org mit: „Bisher konnten unsere Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage, auf die die Polizei sich stützen möchte, nicht vollständig ausgeräumt werden. Auch zur konkreten Ausgestaltung dauert unsere Prüfung noch an.“
Derzeit laufen Untersuchungen durch die Datenschutzaufsicht, „weil es sich hierbei nicht um ein Gebäude von öffentlichem Interesse handele“, geben die Pressesprecher:innen des Innensenats die Datenschutzbehörde wieder. Doch „wenn die konkreten Gebäude durch prognostizierte Straftaten gefährdet sind, […] können Polizeidienststellen im Einzelfall durchaus auch gefährdete Objekte im Sinne von § 24a ASOG darstellen“, so die Pressesprecher:innen weiter.
Demnach dürfe die Polizei am Kotti zur Erfüllung ihrer Aufgaben „an einem gefährdeten Objekt […] personenbezogene Daten durch Anfertigung von Bildaufnahmen erheben und die Bilder zur Beobachtung übertragen und aufzeichnen“.
Opposition sieht Diversität bedroht
Die Fraktionen der Grünen und der Linkspartei im Abgeordnetenhaus Berlin bezweifeln, dass sich auf diese Weise Probleme lösen lassen. Sie haben die Berliner Landesregierung in einem gemeinsamen Antrag aufgefordert, sich mit den Anwohner:innen an einen Runden Tisch zu setzen. Es sollen „insbesondere bei den Themen Sicherheit, Verkehrsführung, Lebens- und Aufenthaltsqualität, Müll und Sauberkeit sowie klimafreundliche Umgestaltung spürbare Verbesserungen herbeizuführen“ sein.
Der Bedeutung des Kottis sind sich die Oppositionspolitiker:innen bewusst. Niklas Schrader (Linkspartei) sagt gegenüber netzpolitik.org: „Hier sind in besonderem Maße Menschen unterwegs, die sich nicht der Norm der Mehrheitsgesellschaft entsprechend verhalten oder so aussehen. Insofern ist die Videoüberwachung auch eine Gefahr für die Vielfalt an diesem Ort.“
Auf die Frage, ob der Kotti seit Inbetriebnahme der Wache sicherer geworden sein könnte, stellt Schrader fest, dass dem nicht so sei: „Senat und Polizei [räumen] selbst ein, dass es zu Verdrängungseffekten bei bestimmten Delikten kommt.“ Das heißt: Sie passieren schlicht an einem anderen Ort.
Für den Politiker steht fest, dass es zwar „diverse Problemlagen“ am Kotti gibt, aber: „Die Lösungen für diese Probleme müssen auch die Vielfalt schützen, anstatt sie in Gefahr zu bringen und den Kotti zu einem langweiligen, eintönigen Ort zu machen.“
Café-Besitzer Yaşaroğlu befürchtet derweil, dass der Kotti sich zu einem Ort wie der Alexanderplatz oder der Potsdamer Platz wandelt. Dort bestimmen Kommerz und Hausordnungen den Betrieb. Es gibt Hochhäuser, Shopping-Malls und teure Cafés. Es sind saubere Orte, die für ein Berlin stehen, das sich an anderen Weltmetropolen orientiert.
Die Polizisten in direkter Nachbarschaft zum Café Kotti sollen Probleme lösen, für die eigentlich Sozialarbeiter ausgebildet werden, argumentiert Yaşaroğlu.
Im Café Kotti selbst gibt es keine Videoüberwachung. „Nein“, sagt Yaşaroğlu entrüstet auf die Nachfrage fest. Menschen müssen sich frei fühlen und bewegen können, erklärt er. Eine Videoüberwachung würde diese Freiheit verhindern.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires