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Österreich: Kritik am Prozess gegen den Produzenten des Ibiza-Videos

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Anlässlich der Prozesseröffnung am Mittwoch gegen den an der Produktion des Ibiza-Videos beteiligten Julian Hessenthaler zeigen sich mehrere Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände besorgt. Sie kritisieren in einer gemeinsamen Pressemitteilung eine „ausufernde“ Strafverfolgung und sind der Ansicht, dass der Umgang mit Hessenthaler ganz bewusst einen abschreckenden Effekt auf zukünftige Aufdecker:innen und die Ausübung der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich haben könnte. Hessenthaler sitzt seit Ende 2020 in Haft, ihm werden Drogen- und Urkundendelikte vorgeworfen.

Die beteiligten Organisationen und Journalistenverbände, unter ihnen Epicenter.Works, Reporter ohne Grenzen und Amnesty International, äußern Bedenken, dass die Ermittlungen auf teils konstruierten Vorwürfen basieren würden. Diese seien genutzt worden, um Hessenthaler zu diskreditieren und seiner Person habhaft zu werden.

Die volle Packung Überwachung

Dabei hätten die Ermittler keine Mühen geschaut: Unter anderem mit IMSI-Catchern, Telefonüberwachungen, Funkzellenabfragen, Hausdurchsuchungen, Abfragen von Passagierlisten, Serverbeschlagnahmungen und Zielfahndern hätten sie versucht, Hessenthaler zu finden und seine Verhaftung in Deutschland und Auslieferung nach Österreich zu betreiben.

Ob Julian Hessenthaler die ihm nun vorgeworfenen Urkundenfälschungs- und Drogendelikte begangen habe, müsse von einem Gericht geklärt werden, sagt Thomas Lohninger von Epicenter.Works. „Die enorme Intensität, der Mittelaufwand und die Eingriffstiefe, mit der die Ermittlungen gegen Julian Hessenthaler, für den nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt, geführt wurden, sind jedoch beachtlich“, so Lohninger weiter.

17 SOKO-Mitglieder gegen Hessenthaler, 3 gegen Strache

„Wären die österreichischen Behörden schon 2015 den Hinweisen [..] auf die Korrumpierung Straches so intensiv nachgegangen wie die Ermittlungen gegen Julian Hessenthaler geführt wurden, hätte sich jede Notwendigkeit für ein Ibiza-Video erübrigt“, so Lohninger.

Ein solches Ungleichgewicht sieht auch Amnesty International-Generalsekretär Heinz Patzelt: „Auch die im Untersuchungsausschuss bekannt gewordene polizeiliche Ressourcenverteilung gibt Anlass zur Sorge, dass es eine politische Einflussnahme auf die Ermittlungen gab: Von über 20 SOKO-Mitgliedern ermittelten siebzehn gegen Julian Hessenthaler und nur drei für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Strache.“

Für Patzelt steht die Wichtigkeit des Ibiza-Videos außer Frage: „Die Aufnahmen des so genannten Ibiza-Videos zeigen eine sehr bedenkliche Einstellung des ehemaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache gegenüber der Pressefreiheit, dem Rechtsstaat und Korruption. Die Veröffentlichung des Videos, die durch Julian Hessenthaler ermöglicht wurde, führte zu einer Debatte von öffentlichem Interesse und ermöglichte der Allgemeinheit, sich ein Bild über die Eignung von Herrn Strache zur Ausübung politischer Ämter zu machen.“

„Abschreckende Wirkung“

„Wer zu viel Wahrheit ans Tageslicht fördert, dem drohen strafrechtliche Ermittlungen; gegebenenfalls auch über Ländergrenzen hinweg“, sagt Lohninger. Das führe unweigerlich zu einer abschreckenden Wirkung, die andere von Enthüllungen abhalte und letztlich die Meinungs- und Pressefreiheit in Österreich einschränke. Heinz Patzelt von Amnesty sieht das ähnlich: „Tatsächlich sehen wir in letzter Zeit immer wieder, wie hierzulande versucht wird, die Meinungs- und Pressefreiheit zu unterwandern.“

Vor dem Hintergrund des Falles appellieren die Organisationen an den österreichischen Staat, dass die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden objektiv und parteiunabhängig erfolgen müsse. Österreich hat noch nicht die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower:innen umgesetzt und hat noch bis Ende des Jahres Zeit dafür.

Sowohl Epicenter.Works wie auch die Amnesty International Österreich haben angekündigt, den am Mittwoch in St. Pölten beginnenden Prozess gegen Hessenthaler zu beobachten. Gleichzeitig veröffentlicht Epicenter.Works mehr als 400 Seiten geschwärzte Gerichtsakten, und gibt damit Einblick in das Strafverfahren.


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