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Nach EuGH-Urteil: Wie es mit der Netzneutralität weitergeht

Für sogenannte Zero-Rating-Angebote wie Vodafone Pass oder StreamOn der Telekom Deutschland sieht es schlecht aus. In wegweisenden Urteilen erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) letzte Woche, dass solche Produkte grundsätzlich die Netzneutralität verletzen. Dennoch dürfte es noch Monate oder gar Jahre dauern, bis sie vom Markt verschwinden.

Dabei scheint die Sache klar zu sein. Kostenpflichtige Pakete von Netzbetreibern, die den Zugriff auf bestimmte Partnerangebote wie Youtube oder Facebook nicht auf das monatliche Datenvolumen anrechnen, nehmen „eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vor“, heißt es in den drei Vorabentscheidungen des EuGH. Dies verstoße gegen die Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln und sei daher nicht mit EU-Recht vereinbar, so das Gericht.

Damit hat der EuGH deutlich weitreichender geurteilt als viele erwartet hatten. Ursprünglich waren die Bundesnetzagentur und der Bundesverband der Verbraucherzentralen nur gegen Details der jeweiligen Tarife vor Gericht gezogen. So ließen sich die „Pässe“ von Vodafone nur im Inland und zudem nicht über die Hotspot-Funktion („Tethering“) nutzen, die Telekom drosselte Videostreams. Die Fälle liegen beim Oberlandesgericht Düsseldorf und dem Verwaltungsgericht Köln. Diese hatten den EuGH um ein Urteil gebeten und müssen nun weiter entscheiden.

EuGH bestätigt etablierte Sicht

Bereits bei der Verabschiedung der EU-Verordnung zur Netzneutralität bestanden ernsthafte Zweifel, ob Zero-Rating-Produkte generell gegen das Gesetz verstoßen: Belastet der Zugriff auf beispielsweise Youtube das Transfervolumen nicht, der auf einen konkurrierenden Dienst wie Vimeo jedoch schon, dann entsteht durch die Ungleichbehandlung ein Anreiz für Nutzer:innen, sich für ersteres Angebot zu entscheiden.

Vor allem große und marktmächtige Unternehmen könnten sich einen Vorteil verschaffen, indem sie solche Kooperationen eingehen, warnten Netzaktivist:innen und Verbraucherschützer:innen. Dies würde auf lange Sicht das offene Internet kaputtmachen und es in eine Art Kabel-TV verwandeln, kontrolliert von einigen wenigen Diensteanbietern und Netzbetreibern.

Auf die Gefahr der eingeschränkten Wahlfreiheit verwies auch das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK). In seinen Leitlinien, die nationalen Behörden wie der Bundesnetzagentur bei der Auslegung des EU-Gesetzes helfen, erlaubte das Gremium die diskriminierende Geschäftspraxis unter bestimmten Auflagen aber trotzdem.

Entsprechend hatte die Bundesnetzagentur gegen die Zero-Rating-Produkte auf dem deutschen Markt nichts Grundsätzliches einzuwenden und ging lediglich gegen Tarifdetails vor.

Auf diese Interpretation ließ sich der EuGH aber erst gar nicht ein, die Einzelheiten spielten kaum eine Rolle. Zulässig sei eine Ungleichbehandlung spezieller Verkehrskategorien nur im Fall von Verkehrsmanagement-Maßnahmen, etwa wenn dies bei einer drohenden Netzüberlastung technisch erforderlich ist, „nicht aber auf Grundlage kommerzieller Erwägungen“.

Die Bundesnetzagentur erwartet deshalb, dass die aktuellen Zero-Rating-Angebote „in ihrer jetzigen Form nicht aufrechterhalten werden können“. GEREK hat angekündigt, die Leitlinien angesichts der Urteile prüfen und gegebenenfalls überarbeiten zu müssen. Anfang Oktober will das Gremium mitteilen, wie es mit der Netzneutralität in Europa konkret weitergeht.

Verzögerungen zu erwarten

So eindeutig die EuGH-Urteile auch sind, rechtlich bindend sind für die betroffenen Unternehmen erst die Entscheidungen der nationalen Gerichte. Das kann sich durchaus noch hinziehen – eine Taktik, die in der Vergangenheit für die Netzbetreiber gut funktioniert hat. Die Parteien haben zunächst Gelegenheit, binnen zwei Monaten zu den Entscheidungen des EuGH Stellung zu nehmen, erklärt ein Sprecher des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

Dann werde der Senat entscheiden, wie weiter zu verfahren ist. „Definitiv wird es aber nicht so sein, dass der Senat ohne Verhandlung oder vorangegangenes schriftliches Verfahren einfach ein Urteil verkündet“, so der Sprecher. Danach ist eine Revision zum Bundesgerichtshof denkbar.

Ähnlich beim Verwaltungsgericht Köln. Auch hier müssten zunächst die Reaktionen der Verfahrensbeteiligten abgewartet werden. „Im Falle einer streitigen Entscheidung wäre ein Antrag auf Zulassung der Berufung oder – je nach Entscheidung der Kammer – unmittelbar eine Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen möglich“, teilt ein Sprecher mit.

Bundesregierung könnte handeln

Bleibt noch der Gesetzgeber, der Zero Rating schlicht verbieten könnte. Dass dies nicht schon längst passiert ist, ärgert etwa die Grünen. „Die Große Koalition hat einfach zugeschaut, wie die Netzbetreiber sich ein Zwei-Klassen-Internet bastelten“, sagen die grünen Digital-Expertinnen Margit Stumpp und Tabea Rößner in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Doch vor der Bundestagswahl ist keine Bewegung zu erwarten. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) prüfe erst gemeinsam mit der zuständigen Bundesnetzagentur die Begründung der Urteile und sich daraus ergebende Konsequenzen, teilte uns eine BMWi-Sprecherin nach der EuGH-Entscheidung mit.

Nach der Wahl könnte sich aber durchaus etwas tun, mit Ausnahme der Union bekennen sich alle demokratischen Parteien grundsätzlich zur Netzneutralität in ihren Wahlprogrammen. Auch die SPD setze sich für ein gesetzliches Verbot von Zero Rating ein, sagt Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Sollten an das EuGH-Urteil angepasste Leitlinien nicht ausreichen, um die Produkte vom Markt zu drängen, „sehe ich entsprechenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, sagt Zimmermann.


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