Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

LobbyControl-Studie: Digitalbranche lässt sich Lobbying in Brüssel 100 Millionen Euro im Jahr kosten

Mark Zuckerberg

Geschicktes Lobbying ist kein Sologesang, sondern ein Chor. Die Stimmen großer Konzerne vermischen sich darin mit jenen von Denkfabriken, Branchenverbänden und NGOs, die von ihnen finanziell abhängig sind. Gemeinsam summen sie so lange die selbe Melodie, bis diese zum Grundrauschen des politischen Betriebs gerät.

Wie vielstimmig große Technologiekonzerne wie Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft in Brüssel klingen, zeichnet ein neuer Bericht von LobbyControl und Corporate Europe Observatory nach. „Die Lobbymacht der Digitalkonzerne ist in den letzten Jahren deutlich größer geworden“, sagt Studien-Mitautor Max Bank von LobbyControl.

Mehr Lobbymacht als Öl- und Autokonzerne

Seine Zahlen machen deutlich, wie viel den großen Firmen Einfluss auf die Europäische Union wert ist: Fast hundert Millionen Euro gibt die Digitalbranche jährlich für ihr EU-Lobbying aus. Damit bezahlt sie mehr als Ölfirmen, die Finanzbranche oder die Pharmaindustrie. Die drei Firmen mit den höchsten Lobby-Ausgaben sind Google, Facebook und Microsoft, die jeweils fünf Millionen im Jahr für ihre Vertretung in Brüssel springen lassen. Mehr als 140 Lobbyist:innen sind allein für die größten zehn Digitalfirmen in der EU-Metropole unterwegs.

Für die Technologiekonzerne steht in Brüssel viel auf dem Spiel. Mit einem Gesetzespaket, dem Digitale-Dienste-Gesetz, möchte die EU-Kommission die Macht großer Plattformen beschränken und kleineren Firmen den fairen Wettbewerb ermöglichen. Darin vorgesehene Maßnahmen wie Einschränkungen für die Datennutzung bei digitaler Werbung könnten Firmen wie Google und Facebook Milliarden kosten – kein Wunder daher, dass die Firmen dagegen Sturm laufen. Es müsse „stärkeren Druck“ auf EU-Digitalkommissar Thierry Breton geben, auch sollten „Verbündete in der Wissenschaft“ mobilisiert werden, heißt es in einem vertraulichen Lobby-Strategiepapier Googles, das im vergangenen Herbst die französische Zeitung Le Point veröffentlichte.

Als Echoverstärker dienen den Tech-Konzernen große Branchenverbände wie DigitalEurope. Dort sind einzelne Konzerne tonangebend, der Verband spricht aber für die gesamte Digitalbranche. Besonders wirkmächtig sind auch Thinktanks, die mit ihrer Expertise den Argumenten der Digitalkonzerne Gewicht verleihen sollen. Am selben Tag im Herbst, als Le Point das Lobbypapier von Google veröffentlichte, brachte der von Google finanzierte Thinktank ECIPE eine Studie heraus. Darin heißt es, das geplante Gesetzespaket der EU werde der europäischen Wirtschaft 85 Milliarden Euro an Kosten verursachen. Der Schönheitsfehler: Zu diesem Zeitpunkt war der Gesetzesvorschlag der Kommission noch nicht mal fertiggestellt, die Zahl reine Spekulation. Trotzdem berichteten Medien breit über die Studie, das Narrativ der Tech-Firmen war gesetzt: Regulierung hemmt Innovation und kostet Geld.

Drehtürwechsel zwischen Politik und Firmen

Auch durch Personalpolitik nimmt die Technologiebranche Einfluss auf die Politik. Denn die Konzerne und die von ihnen finanzierten Verbände und Denkfabriken heuern gerne Personal aus der EU-Kommission und dem Parlament an, oft wechseln Leute mehrfach zwischen Politik, Firmen und Verbänden hin und her. Die Aussicht auf einen lukrativen Job bei den Technologiefirmen sorgt nicht selten dafür, Kritik aus den Reihen der Politik und Beamtenschaft zu dämpfen. Solche sogenannten Drehtürwechsel sind zwar durch Regeln beschränkt, stehen aber trotzdem auf der Tagesordnung.

Als Beispiel nennt der Bericht der Lobbywächter:innen etwa Eline Chivot, die beim branchennahen Thinktank Center for Data Innovation vor allzu strenger Regulierung der Konzerne warnte. Inzwischen arbeitet sie als Beraterin für Digitalpolitik bei der Europäischen Volkspartei, der auch die deutschen Unionsparteien angehören. Chivot reagierte nicht auf eine Anfrage von netzpolitik.org nach ihren Verbindungen in die Digitalbranche.

Die Lobbymacht sorgt dafür, dass die Stimmen der großen Technologiefirmen wesentlich lauter sind als jene von Verbraucherverbänden, NGOs und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft. Von 270 Lobbytreffen der EU-Kommission zum Digitale-Dienste-Gesetz seien 75 Prozent mit Vertreter:innen der Digitalbranche gewesen. Das ermittelt die Studie der Lobbywächter:innen durch eine Auswertung des Transparenzregisters der Kommission. Wie viel hingegen im EU-Parlament und im Rat der EU-Staaten lobbyiert wird, lässt sich nicht sagen – denn dort sind Eintragungen von Treffen mit Lobbyist:innen in das Register nicht verpflichtend.

Lobbywächter:innen fordern „Ausgewogenheitsmechanismus“

Die Tech-Konzerne investierten derzeit „in beispiellosen Dimensionen“ in Lobbying, sagt Max Bank von LobbyControl. Die Digitalbranche hole damit in wenigen Jahren nach, was klassische Industrien in Jahrzehnten an politischem Einfluss aufgebaut hätten.

Damit die Tech-Konzerne durch ihr Lobbying nicht unmäßigen Einfluss auf die Politik ausüben, sprechen sich Corporate Europe Observatory und LobbyControl für strengere Lobby-Regeln aus. In ihrer Studie erneuern sie langjährige Forderungen wie jene nach einem verpflichtenden Transparenzregister für alle EU-Institutionen, mehr Offenheit bei der Gesetzesarbeit der EU-Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union sowie wirksame Blockaden gegen Drehtürwechsel zwischen Politik und Lobbying.

Lobbywächter Bank erhebt darüber hinaus die Forderung nach einem „Ausgewogenheitsmechanismus“. Dieser soll sicherstellen, dass die Politik in ihren Gesetzgebungsverfahren auch ausreichend unabhängige Stimmen aus der Zivilgesellschaft, von Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und aus der Wissenschaft anhöre. Die EU-Kommission müsse diese proaktiv zu Gesprächen einladen. Damit soll verhindert werden, dass bei Gesprächen über neue Gesetze fast ausschließlich die großen Konzerne zu Wort kommen.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires