Die EU-Kommission laviert seit einiger Zeit bei der Gretchen-Frage, wie sie es mit der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hält. Einerseits betont sie, jede Schwächung von Verschlüsselung abzulehnen. Andererseits hat sie gemeinsam mit den EU-Staaten angekündigt, bis 2022 Ideen für den Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf verschlüsselte Inhalte vorzulegen. Das weckte Befürchtungen aus der Zivilgesellschaft, die Kommission könnte eine Verpflichtung für Anbieter schaffen, Hintertüren oder Generalschlüssel für verschlüsselte Inhalte vorzuhalten.
Der Umgang mit der Verschlüsselung ist auch Thema eines internationalen Handelsvertrags, über den die EU und über 80 WTO-Mitglieder seit Jahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Genf verhandeln. Der Vertrag soll für rund 90 Prozent des globalen Handels gelten und viele Fragen des internationalen Datenverkehrs regeln, etwa die Frage, ob es Zölle auf Daten geben darf oder ob Staaten Verpflichtungen für ausländische Softwareanbieter schaffen dürfen, bei ihren Produkten Algorithmen und Quellcode offenzulegen. Die EU möchte solche Praktiken verbieten.
Der Handelsvertrag könnte darüber hinaus auch ein Verbot für erzwungene Technologietransfers bei kryptografischen Produkten vorschreiben – das geht zumindest aus einem Verhandlungsstand hervor, der vor einigen Monaten durch ein Leak öffentlich wurde. Dabei sticht insbesondere eine Passage des betreffenden Artikels C.3. (1) ins Auge: Ausgenommen von den Regeln für kryptografische Produkte sind demnach Strafverfolgungsbehörden. Diese dürfen Anbieter verschlüsselter Dienste verpflichten, ihnen Zugang zu verschlüsselter Kommunikation zu gewähren.
Kritik an „Verschlüsselungsfantasien“
Könnte der Vertrag damit seinen Unterzeichnerstaaten – etwa China oder der Türkei – ausdrücklich erlauben, Anbieter zum Einbau von Hintertüren zu verpflichten? Die EU-Kommission möchte auf die Frage nicht antworten. Da das Verhandlungsdokument noch nicht formell veröffentlicht worden sei, sei sie nicht in der Lage, sich dazu zu äußern, antwortete EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf eine Frage der FDP-Abgeordneten Svenja Hahn. Die Kommission weigert sich demnach, ihre Position bei der Verhandlung offenzulegen.
Die Abgeordnete Hahn hält das für ungenügend. Es sei zwar begrüßenswert, dass sich die Kommission in ihrer Antwort gegen eine Schwächung der Verschlüsselung ausspreche. „Ich fordere in dem Zusammenhang aber ein klares Bekenntnis der Kommission, das Recht auf Verschlüsselung ohne Umgehungsmöglichkeiten auch im e-Commerce-Vertrag auf WTO-Ebene festzuschreiben.“ Das gelte insbesondere, nachdem der Rat der EU-Staaten zuletzt „mit Fantasien eines Verschlüsselungsverbots gespielt“ habe.
Das Recht auf Verschlüsselung sei „essenziell für unsere freie und demokratische Gesellschaft“, mahnt die FDP-Politikerin Hahn. „Der Einbau von ‚Hintertüren‘ im Namen der Strafverfolgung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die digitale Privatsphäre und zudem eine Sicherheitsgefahr für Unternehmen und Staaten.“
Unterstützung bekommt Hahn von ihrer Parlamentskollegin Markéta Gregorová von der tschechischen Piratenpartei. Die EU-Verhandler müssten ein sofortiges Verbot für Hintertüren bei der Verschlüsselung fordern. Der Textvorschlag in der Fassung des geleakten Dokuments „öffnet die Büchse der Pandora“ zur Aufweichung der Verschlüsselung, sagt Gregorová.
Ein Verbot von Hintertüren in dem Handelsvertrag hatte zuvor auch der Lobbyverband DigitalEurope gefordert, dem fast alle großen Technologiefirmen angehören. Hintertüren würden „die Innovation behindern, der Wirtschafte schaden und die Datensicherheit und die Privatsphäre schwächen“, argumentiert der Verband.
Die Gespräche über den Handelsvertrag gehen inzwischen hinter verschlossenen Türen weiter, Verhandler:innen hoffen auf „wesentliche Fortschritte“ bis Jahresende. Während frühere Handelsverträge wie ACTA für großes öffentliche Aufregung sorgten, gab es über die laufenden Verhandlungen in Genf bislang kaum mediale Berichterstattung. Die dort getroffenen Entscheidungen könnten allerdings bald prägend für das internationale Handelsrecht wirken – und global Maßstäbe setzen, etwa beim Thema Verschlüsselung.
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