Vertreter:innen von Cookie-, Tracking- und Werbevermarktungsfirmen mischen seit einiger Zeit im World Wide Web Consortium (W3C) mit und wollen dort die Einführung von Standards, die mehr Privatsphäre für die Nutzer:innen bringen, verhindern oder zumindest verlangsamen. Gleichzeitig haben Konzerne wie Apple oder Google einen großen Einfluss auf das Gremium.
Das berichtet Issie Lapowsky in einer langen, detailreichen, lesenswerten und aufschlussreichen Reportage bei Protocol.com. Lapowsky selbst sagt, dass dies „die geekigste Geschichte“ sei, die sie je geschrieben habe, aber es habe sie sehr fasziniert. Über das W3C, das die Standards des World Wide Webs festlegt, schreibt sie:
Es ist eine größtenteils online arbeitende Gemeinschaft, in der die Menschen, die das Internet betreiben – Website-Betreiber, Browser-Firmen, Werbetechnik-Firmen, Verfechter des Datenschutzes, Akademiker und andere – zusammenkommen, um sich darüber auszutauschen, wie das Web funktioniert. Es ist der Ort, an dem Top-Entwickler von Firmen wie Google Vorschläge für neue technische Standards machen, der Rest der Community stimmt sie ab und wenn alles gut geht, schreibt das Konsortium am Ende die Regeln, die sicherstellen, dass Websites sicher sind und funktionieren, egal welchen Browser Sie benutzen oder wo Sie ihn benutzen.
Das Konsortium beschließt die Regeln im Konsens. Und hier setzen die Werbevermarkter an. James Roswell ist einer von ihnen, er vertritt die Datenanalyse-Firma 51Degrees im W3C und ist für eine große Aktivität bekannt. Er ist auch Mitglied der „Marketers for an Open Web“, einer Lobbyorganisation solcher Werbe- und Datenfirmen. Im W3C präsentiert sich Roswell als Gegner der großen Tech-Konzerne Google, Apple und Microsoft und als Verteidiger eines freien Webs. Doch andere Vertreter:innen im W3C sehen ihn als Bremser in Sachen Privatsphäre, der einen „Denial-of-Service-Angriff“ auf das Konsortium fahre, berichtet Lapowsky.
Aufstand der Werbetracking-Firmen
Im Konsortium fühlen sich viele an das Debakel rund um Do-Not-Track erinnert, welches das W3C spaltete und lähmte. So seien die Auseinandersetzungen heute um die Google Privacy Sandbox Initiative ähnlich, aber „zehnmal schlimmer“, zitiert Protocol.com Ashkan Soltani, den ehemaligen Cheftechnologen der Federal Trade Commission (FTC) und Mitautor des kalifornischen Datenschutzgesetzes von 2018. Er kennt beide Debatten im W3C.
Die Privacy Sandbox Initiative will im Kern die Drittanbieter-Cookies und das Tracking von Individuen abschaffen. Doch mit dem Teil-Konzept Federated Learning of Cohorts (FLoC) gerät Google zwischen die Fronten von Datenschützern und Werbetreibenden. Google wollte statt mit Cookies zu tracken, die Nutzer:innen nach ihren Webseitenbesuchen in Kohorten einteilen. Datenschützern ging das Konzept nicht weit genug, den Werbefirmen viel zu weit: Cookie-Werbetrackingfirmen fürchteten um ihr Geschäftsmodell und eine weitere Monopolisierung der Konzerne.
Im Hintergrund der Debatten im W3C spielt immer auch mit, dass die großen Konzerne wie Google oder Apple so groß sind, dass sie mit ihren Mitteln Nutzer:innen außerhalb ihres Einflussbereiches vor Tracking schützen können, die Nutzer:innen aber innerhalb ihres Systems weiterhin auswerten. Die Befürchtung ist hierbei, dass die großen Konzerne mit neuen Standards ihre Macht weiter zementieren könnten.
Die Macht der Konzerne im W3C
In diese Kerbe schlagen die Vertreter aus der Cookie- und Werbeindustrie. Die Journalistin Lapowsky schreibt, wie deren Vertreter Diskussionen entgleisen lassen und nicht anhand konkreter Themen diskutieren wollen, sondern mit Angriffen auf die Unternehmen, aber auch mit der Forderung nach philosophischen Grundsatzentscheidungen zum lähmenden Faktor des Gremiums geworden sind.
Auf der anderen Seite kritisieren nicht nur die Werbe-Trolle wie Roswell, sondern auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, dass die Architektur des W3C große Konzerne begünstige, die alleine wegen der Mitarbeiter:innen, die diese für das Konsortium und die Entwicklungen von Standards abstellen können, dort einen klaren Vorteil hätten. Auch wenn am Ende alle nur eine Stimme hätten, könnten Nichtregierungsorganisationen oder kleine Unternehmen dabei nicht mithalten.
Lapowsky berichtet darüber, dass Facebook nun die Ablenkung der Werbetrolle nutze, um hinter den Kulissen Friedensverträge anzubieten und das eigene Geschäftsmodell zu schützen. Facebook ist unter den großen Konzernen im W3C der Einzige, der keinen Browser und kein Betriebssystem hat. In den letzten Monaten habe sich Facebook vermehrt im W3C engagiert. Werbevermarkter Roswell freut es, dass eine weitere „alternative Stimme“ im Konsortium entstehe, berichtet Lapowsky.
Sieg der Werbe-Trolle
Unterdessen ist die Beschwerde der Marketers for an Open Web über die Google Privacy Sandbox Initiative bei der britischen Wettbewerbsbehörde angenommen worden. Google verschob die Pläne, Cookies von Drittanbietern abzuschaffen, um ein weiteres Jahr und versucht die britischen Aufsichtsbehörden zu beschwichtigen.
Datenschützer Ashkan Soltani kritisiert, dass die Regulierungsbehörden in Großbritannien der Werbeindustrie das Argument abgekauft hätten, dass Datenschutz und Wettbewerb auf Kollisionskurs seien. Das, so sagte er gegenüber Protocol, sei eine falsche Entscheidung: „Sie hätten von jedem verlangen können, nicht auf diese Daten zuzugreifen, Google eingeschlossen, was ein Nettovorteil für den Wettbewerb und die Privatsphäre gewesen wäre.“
So, wie es jetzt läuft, können sich Roswell und andere Datensammler im W3C freuen.
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