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Altmaiers Startup-Beirat: Pressefreiheit nervt beim Börsengang

Mann mit Smartphone

Die Presse ist Schuld, dass es mit den Börsengängen deutscher Startups nicht so gut klappt, wie die aufstrebende digitale Branche sich das wünscht. So muss man ein haarsträubendes und schamloses Positionspapier des „Beirat Junge Digitale Wirtschaft“ deuten, das auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums veröffentlicht wurde. Das Dokument ist auf Mitte April datiert, bekannt wurde es jedoch am Montag durch einen Bericht des Handelsblatts.

Tatsächlich ist der Beirat ein offizielles Gremium des Ministeriums, das der ehemalige FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler 2013 eingerichtet hatte. Noch im September des vergangenen Jahres ließ sich der heutige Wirtschaftsminister Peter Altmaier von seiner Behörde damit zitieren, er erhoffe sich von dem Beirat „wertvolle Anregungen“.

Der Beirat empfiehlt laut Positionspapier (PDF) unter dem Punkt „Gewährleistung einer ausgewogenen Berichterstattung über Börsengänge durch Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel, die sich als regelrechtes „IPO-“ und „new economy-bashing“ unter Finanzredakteuren verbreitet haben“:

1. Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs (fallen sonst bei den großen Medien ganz durchs Raster)

2. Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information, bewehrt durch Pflicht zur unverzüglichen Gegendarstellung bei Fehlinformation

3. Verpflichtung von Internetforen zur Offenlegung von Klarnamen der Blogger, Einführung einer Haftung von Bloggern für Falschbehauptungen und Beleidigungen

Wenn es nach den Startup-Lobbyist:innen (PDF) geht, soll die Presse in Zukunft nicht mehr selbst entscheiden, was sie für relevant hält, sondern über jeden Börsengang beklagenswerter No-Name-Startups verpflichtend berichten.

Also auch über solche Unternehmen, die es in den Jahren ihrer traurigen Existenz nicht einmal geschafft haben, soviel Geld in PR und Marketing zu verbrennen, dass sich irgendein Schwein für sie interessiert.

Bitte nur noch Success Stories

Eine Artikelpflicht genügt den Lobbyist:innen nicht, für die erfolgreichen Börsengänge und die Entstehung neuer deutscher Weltmarktführer sei es nötig, die Presse zu disziplinieren, damit diese sachlich, richtig und vollständig berichtet. Vermutlich finden die Jungen Digitalen, dass man ihre Press Releases, Learnings, Use Cases und Success Stories am End of the Day einfach in Gänze copypasten sollte.

Was soll das denn auch, dass kritisch über die Strategie von Gorillas, miserable Arbeitsbedingungen bei Lieferservices oder die rauen Methoden von N26 gegen Betriebsräte berichtet wird?

Hätten die Spielverderber:innen von der Presse damals „diszipliniert“ und „richtig“ über Wirecard berichtet, dann wären die heute womöglich Weltmarktführer und nicht ein am Boden zerschelltes Skandalunternehmen. Und mit der richtigen Pressedisziplin wird Deutschland Digitalweltmeister und aus Amorelie ein neues Amazon.

Natürlich kann man auf dem Weg zur richtigen Darstellung deutscher Startups nicht nur gegen die Print-Medien vorgehen: Auch Blogger:innen und Foren sind den „wichtigen Impulsgebern“ (Zitat: Altmaier) ein Dorn im Auge. Damit sich niemand mehr anonym oder pseudonym das Maul über das „nächste große Ding“ zerreißen kann, muss eine Klarnamenpflicht her. Logisch.

„Wichtige Impulsgeber“

Dem Handelsblatt sagte das Wirtschaftsministerium übrigens, dass es nicht hinter den Forderungen stehe, sondern die Unabhängigkeit der Presse für ein hohes Gut halte.

Altmaier schrieb auf Twitter, das Papier, drei Monate alt und seit Mitte Juni auf der Website seines Ministeriums, sei ihm leider unbekannt. Man werde jetzt aber „umgehend die Verantwortlichkeiten klären“ und Konsequenzen ziehen – „gegebenenfalls“.

Die Vorsitzende des Beirats Miriam Wohlfahrt, behauptete, bei dem auf April datierten, laut Metadaten im Mai erstellten und im Juni auf der Ministeriumswebsite veröffentlichten Dokument handele es sich bloß um „eine nicht finale Arbeitsversion“. Dem Handelsblatt teilte Altmaiers Ministerium mit, das Papier sei als „Meinungsäußerung“ veröffentlicht worden, am Montagabend ließ es Wirtschaftsminister Altmaier es von der Seite entfernen

Meinungsäußerungen werden übrigens im gleichen Artikel des Grundgesetzes garantiert wie die Pressefreiheit.


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