Der Digitalpakt Schule ist ein fünf Milliarden schweres Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das von 2019 bis 2024 deutsche Schulen digitaler machen soll. Dann wurden in der Pandemie die digitalen Defizite der Schulen noch deutlicher. Deswegen sollten Zusatzpakete von je 500 Millionen Euro die Lücken stopfen. Doch während die Schulen jetzt allmählich wieder in den Präsenzbetrieb übergehen, werden Teile dieser Zusatzpakete noch immer nicht abgerufen.
Fünf Milliarden und drei Corona-Hilfen
Die Verwaltungsvereinbarung „Digitalpakt Schule“ wurde 2019 beschlossen und fußt auf der Änderung im Grundgesetz, die dem Bund Finanzierungshilfen den ansonsten den Ländern vorbehaltenen Bildungsbereich erlaubt. Die Länder steuern einen Eigenanteil von mindestens zehn Prozent bei. Förderwürdig durch den Digitalpakt sind beispielsweise Schulserver, schulisches WLAN, Lernplattformen oder interaktive Tafeln.
Die Zusatzverwaltungsvereinbarung „Sofortausstattungsprogramm“ oder „Corona-Hilfe I“ wurde im Juli 2020 beschlossen, um Schüler:innen, die zuhause keinen Computer haben, ein mobiles Endgerät für den Distanzunterricht zur Verfügung zu stellen und Schulen bei Online-Lehrinhalten zu unterstützen.
Darauf folgte im Dezember 2020 die „Corona-Hilfe II“, die Zusatzverwaltungsvereinbarung „Administration“. Die 500 Millionen Euro aus diesem Paket sollen in die Ausbildung und Finanzierung von IT-Administrator:innen an Schulen fließen. Förderfähig sind hier „befristete Ausgaben für Personalkosten […] für professionelle Administrations- und Support-Strukturen“ sowie „pauschalierte Zuschüsse zu Ausgaben für die Qualifizierung und Weiterbildung“ von IT-Administrator:innen, die bei den Ländern oder Schulträgern angestellt sind.
Als „Corona-Hilfe III“ beschloss der Bund mit den Ländern Anfang 2021 dann eine dritte Zusatzverwaltungsvereinbarung: „Leihgeräte für Lehrkräfte“. „Angesichts der pandemiebedingten Ausnahmesituation“ heißt es in der Vereinbarung, wolle man mit 500 Millionen Euro aus diesem Programm Laptops, Notebooks oder Tablets für Lehrkräfte zur Verfügung stellen.
Die Länder müssen dem Bund regelmäßig berichten, wie viele Mittel aus dem Digitalpakt und seinen Zusatzprogrammen abgeflossen sind. Der letzte Stichtag war im Dezember 2020. Aus dem Sofortausstattungsprogramm hatten acht Bundesländer ihre Anteile vollständig abgerufen, in weiteren Bundesländern zumindest große Teile. Nur in Thüringen lag der absolute Mittelabfluss zum 31. Dezember noch bei Null Euro. Das „Leihgeräte für Lehrkräfte“-Programm war zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossen, doch auch aus dem Administrations-Programm gab es noch keinen Mittelabfluss.
Bundesländer wenig auskunftsfreudig
Deshalb haben wir die 16 Kultusministerien der Länder nach dem aktuellen Stand bei der Umsetzung der sogenannten Zusatzverwaltungsvereinbarungen zum Digitalpakt Schule gefragt. Nach drei Wochen hat knapp die Hälfte der Länder immer noch nicht geantwortet. Doch auch unter den Ländern, die geantwortet haben, zeigen sich teils große Unterschiede.
Die Umsetzung des Sofortausstattungsprogramms scheint in den meisten Ländern weiter gut voranzugehen oder bald abgeschlossen zu sein: Hessen hat 85.000 Geräte bis Ende April ausgeliefert, in Rheinland-Pfalz konnten 57.000 Geräte angeschafft werden, in Sachsen wurden rund 47.000 Geräte beschafft. Doch die Zahlen aus den verschiedenen Ländern sind schwer vergleichbar – nicht nur, weil jedem Land eine andere Summe zusteht.
Aus Bayern heißt es, „bis Ende 2020 war bereits ein großer Teil der Schülerleihgeräte tatsächlich bei den Schülerinnen und Schüler angekommen.“ Baden-Württemberg berichtet, dass 130 Millionen Euro direkt an die Schulträger überwiesen worden seien. Auch Nordrhein-Westfalen nennt keine Zahl der Geräte, weil die Schulträger zuständig seien, jedoch eine Gesamtsumme von 255 Millionen Euro, die für Lehrer- und Schülergeräte zusammen beantragt worden seien. Sachsen-Anhalt schätzt, dass es rund 22.000 Geräte sind. „Genauere Zahlen liegen noch nicht vor“, heißt es mit der Begründung, dass man einen zentralen IT-Landesdienstleister mit der Gerätebeschaffung beauftragt habe, sich aber dennoch einzelne Schulträger selbst um die Anschaffung kümmern.
Gewerkschaft: „Reibungsverluste“
Jedes Land gestaltet die Umsetzung der Bundeshilfen ein bisschen anders – genau wie die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Land und Schulträger. Die Lehrerin Ilka Hoffmann leitet in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Organisationsbereich Schule. Sie meint: „Die Zuständigkeiten sind über zu viele Ebenen verteilt, dabei entstehen Reibungsverluste.“ Ihr sei ein Fall bekannt, da habe eine Schule über die 60 bedürftige Schüler:innnen gemeldet, damit sie über das Sofortausstattungsprogramm Geräte für den Distanzunterricht bekommen. „Dann muss das aber geprüft werden, und am Ende bekam die Schule nur ein Gerät“, erzählt Hoffmann.
Aus ihrer Sicht dauert die Umsetzung der Corona-Hilfen zu lange. „Die Verwaltungsvorschriften des Bundes müssen vom Land erst in Durchführungsverordnungen umgesetzt werden und die Schulen müssen medienpädagogische Konzepte bei den Schulträgern vorlegen.“ Aus Hoffmanns Sicht sind das überbürokratisierte Abläufe. „Man muss über diese Art des Förderalismus nachdenken“, sagt sie.
Das jüngste Zusatzpaket des Bundes, „Leihgeräte für Lehrkräfte“, steht in den meisten Ländern, die sich auf unsere Anfrage zurückmeldeten, noch ganz am Anfang. In Brandenburg ist „die Antragstellung demnächst möglich“, in Rheinland-Pfalz kann das Antragsverfahren „alsbald starten.“ In anderen Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg sind Anträge schon bewilligt und Geräte bestellt, doch man rechnet nicht damit, dass sie vor Beginn des kommenden Schuljahres ankommen.
In Hessen wurden die ersten Lehrergeräte schon am 30. März übergeben, darüber berichtet das hessische Kultusministerium in einer Pressemitteilung. Aus einer kleinen Anfrage der SPD in Hessen geht aber hervor, dass es sich wohl nur um eine symbolische Übergabe von zwei Geräten gehandelt habe. „Bis die Geräte schlussendlich genutzt werden können, wird es aufgrund der notwendigen Einrichtung noch vier Monate dauern“, schreiben die SPD-Landtagsabgeordneten Kerstin Geis und Bijan Kaffenberger.
Kaffenberger ärgert sich, dass von der Landesregierung wenig unternommen werde, um die Umsetzung der Coronahilfen aus dem Digitalpakt zu beschleunigen. „Lehrkräfte sind Angestellte des Kultusministeriums. Wenn ich im hessischen Kultusministerium arbeite, und da steht kein Laptop, kann ich zurecht sagen: Ich kann nicht arbeiten.“ Es sei inakzeptabel, dass Lehrer:innen Privatgeräte für Unterrichtsvorbereitung, Korrekturen von Klassenarbeiten, Beurteilungen, Korrespondenz mit Eltern und vielleicht sogar schulpsychologischen Gutachten nutzen. „Deswegen ist es gut, dass die Geräte jetzt kommen und der Bund das mal angestoßen hat“, meint Kaffenberger.
Für den Distanzunterricht zu spät
Den privaten Computer, mit dem der Lehrer Stefan Düll von zuhause aus arbeitet, wird ein neues Gerät aus der Zusatzprogramm des Digitalpakts aber gar nicht ersetzen. Stefan Düll ist der stellvertretende Vorsitzende des deutschen Philologenverbandes (DPHV) und leitet ein Gymnasium im Landkreis Augsburg. „Allein schon ergonomisch sind die kleinen Laptops gar nicht dafür gedacht, länger daran zu arbeiten und zum Beispiel den Unterricht vorzubereiten“, meint Düll.
„Als digitale Stütze für den Präsenzunterricht“ seien die Geräte sinnvoll. „Für den Distanzunterricht kommen sie ja sowieso zu spät“, sagt Düll. Kameras oder Mikrofone als Ergänzung für ältere Rechner mit Desktop hätten sich die meisten Lehrer:innnen im vergangenen Jahr ohnehin längst selbst gekauft, um den Unterricht als Videokonferenz abhalten zu können. Warum konnten Bund und Länder im vergangenen Jahr hier nicht schneller aushelfen? Liegen zu viele bürokratische Hürden zwischen Bedarf der Lehrkräfte und Hilfe der Politik? „Man kann nicht einfach irgendwie blind die Steuergelder raushauen“, meint Stefan Düll. Die einzelnen Beantragungs- und Bewilligungsprozesse dienten schließlich dem Zweck, dass die Mittel auch wirklich ankommen.
Doch genau diese Prozesse laufen nicht in jedem Bundesland gleich ab. Mal liegt mehr Verantwortung beim Land, mal mehr Verantwortung bei den Schulträgern. Und wer ist überhaupt Schulträger? Mal sind es Landkreise, mal große Kommunen, mal Zusammenschlüsse von Gemeinden, in Hamburg ist das Land selbst Schulträger. Je nachdem verfügen die Schulträger über ganz unterschiedliche Voraussetzungen, sich um die Digitalisierung an ihren Schulen zu kümmern, meint Ilka Hoffmann von der GEW.
Zentrale Beschaffung wäre besser gewesen
„Manche Kommunen mit dem Personal und der Erfahrung im Rücken kriegen das super hin, aber gerade in kleinen, ärmeren Kommunen klemmt es oft“, sagt sie. Und in manchen Kommunen fehle einfach die Bereitschaft, sich um die Schulen intensiv zu kümmern. „Danach sehen manche Schulen ja auch aus. Eine ziemliche Schande.“ Das gleiche Problem spricht Bijan Kaffenberger an. Aus seiner Sicht hätte die hessische Landesregierung die Beschaffung der Geräte zentral organisieren und nicht den Medienzentren auf Kreis- oder kommunaler Ebene überlassen sollen.
„Das Land hätte die Medienzentren außerdem schon längst personell massiv stärken müssen“, meint Kaffenberger. Die hessischen Medienzentren werden von den Schulträgern betrieben, doch das Land zahlt die Lehrkräfte, die dort arbeiten. Kaffenberger sagt, diese seien schon mit der Einrichtung der Sofortausstattungsgeräte für die Schüler:innen überfordert gewesen. „Es wurde ein Schritt vor den anderen gemacht, indem man die Geräte anschafft, bevor die Administrationsleistung da ist.“
Und die Administration? „Keine abschließenden Informationen“
Bei den Mitteln aus der Corona-Hilfe für die Administration sieht es in Sachen Abruf der Gelder bislang düster aus: „Zu dieser Fördermaßnahme gibt es noch keine Anträge oder Bezuschussungen“, heißt es aus Sachsen-Anhalt. „Es laufen derzeit noch letzte Abstimmungen zum Supportprogramm. Voraussichtlich im Juni kann die Förderrichtlinie in Kraft treten“, teilt hingegen das hessische Kultusministerium mit.
Bayern schreibt: „Die bayerische Richtlinie ist fertiggestellt und befindet sich in der finalen Abstimmung mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.“ Baden-Württemberg teilt mit: „Hierzu liegen dem Kultusministerium aktuell keine abschließenden Informationen vor.“ Nur das Schulministerium NRW berichtet von 5,6 Millionen Euro, die nordrhein-westfälische Schulträger inzwischen aus dem Förderprogramm beantragt hätten.
Geeignetes IT-Personal sei auf dem Markt sehr knapp, sagt Stefan Düll vom DPhV. Das Problem bestätigt auch Ilka Hoffmann von der GEW. Die Bezahlung im öffentlichen Dienst sei nicht so gut wie in der freien Wirtschaft. „Wer nimmt da irgendeine halbe Stelle an einer Kommune?“ Dazu sei der Spagat zwischen „technisch möglich“ und „didaktisch erwünscht“ für IT-Personal ohne pädagogischen Hintergrund nervenaufreibend.
Vielerorts übernehmen derzeit Lehrkräfte gegen ein paar Unterrichtsstunden weniger die vollständige IT-Administration ihrer Schulen und kommen damit an ihre Belastungsgrenze, wie wir am Fall eines Lehrers aus Baden-Württemberg berichteten. Stefan Düll gibt sich optimistisch, dass sich daran durch das Adminstrations-Programm bald etwas ändert. „In Bayern laufen gerade die Gespräche zwischen Landkreisen und IT-Firmen, an die man die Administration outsourcen kann.“ Es gehe eben nicht immer alles so schnell wie gewünscht, man sei jedoch auf einem „verdammt guten Weg“.
Corona-Hilfen für mehr Digitalisierung nach Corona
Ein Weg, der sich in die Länge zieht – vermutlich über das Ende der Pandemie hinaus. Die Laptops für Lehrer:innen werden zum Großteil erst zum Einsatz kommen, wenn der Unterricht längst wieder in Präsenz stattfindet. Mit „Corona-Hilfen“, wie das BMBF die Zusatzprogramme des Digitalpakts auf seiner Webseite nennt, haben die Fördermittel dann nicht mehr viel zu tun.
Der hessische Digitalpolitiker Bijan Kaffenberger sagt jedoch: „Es ist unglaublich wichtig, dass wir das Thema Digitalisierung an Schulen jetzt nicht als ein rein pandemisches begreifen.“ So müsse dringend auch die Frage geklärt werden, wer Support und Wartung von jetzt beschafften Geräte langfristig finanziere.
Die Pandemie habe Probleme aufgezeigt, die es bei der Digitalisierung an deutschen Schulen schon lange gibt, meint Stefan Düll. „Lehrer mussten sich bisher immer privat darum kümmern, wenn es darum geht, digitaler zu werden.“ Das ändert sich jetzt. Aber sehr langsam.
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