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Doppel-Rezension: Gleitgel für die Pornodebatte

Zwei neue Sachbücher prangern nicht nur an, was rund um Pornografie politisch schiefläuft. Sie fordern auch dazu auf, Pornografie radikal neu zu denken.

links: Madita Oeming; rechts: Paulita Pappel
Ein Thema, zwei Bücher, zwei Autorinnen: Madita Oeming (links) und Paulita Pappel (rechts) – Porträt Oeming: Anna Peschke (alle Rechte vorbehalten); Porträt Pappel: Tally Angel (CC BY-SA 4.0)

Das Internet ist voller Pornos, und unsere Köpfe sind voller Tabus. Wir leben in einer „lustfeindlichen Gesellschaft“ stellt Pornowissenschaftlerin Madita Oeming fest. Sogar sie selbst empfinde noch Scham beim Sprechen über Pornos, schreibt sie in ihrem Buch.

Auch im Buch der Pornoproduzentin und -darstellerin Paulita Pappel geht es um Scham. Sie schreibt darüber, wie sie sich fühlte, als ihr erster Porno auf einer großen Leinwand in Berlin-Kreuzberg gezeigt wurde: „Gleich werde ich nackt zu sehen sein. Beim Ficken. Um die hundert Menschen sitzen im überfüllten Kinosaal, meine Hände schwitzen, und mein Herz rast. Ich platze vor Freude, und gleichzeitig sterbe ich vor Scham.“

Die frisch erschienenen Bücher von Oeming („Porno – eine unverschämte Analyse“) und Pappel („Pornopositiv“) beschreiben die kulturellen und historischen Gründe, warum wir uns für Sexualität schämen und warum wir Pornografie mit Tabus belegen. Kapitel für Kapitel erhalten die Leser*innen Anregungen, um die eigene Scham abzustreifen – wie zwickende Unterwäsche, die einem schon immer zu eng war.

Beide Autorinnen beschreiben Sexualität als ein Grundbedürfnis, das die meisten Menschen miteinander teilen. Das bedeutet: Sexualität ist ähnlich fundamental wie etwa das Bedürfnis nach Sicherheit, Anerkennung, Wärme. Warum sollte man sich dafür schämen?

Pornos als Mittel der Befreiung

Auch wenn sich die Bücher ähneln: Es lohnt sich sehr, sie beide zu lesen. Und es wird auch nicht langweilig, wenn man das direkt hintereinander tut. Im Gegenteil, gerade dann vertiefen und ergänzen sich die Gedanken der Autorinnen. „Mein Ziel ist es, davon wegzukommen, Porno ausschließlich als soziales Problem, gar als Gefahr, zu denken“, schreibt Oeming, „sondern als gängige Alltagspraxis, als Unterhaltungsmedium, als Inszenierung sexueller Fantasien und im besten Falle sogar als Inspirationsquelle und Hilfsmittel sexueller Befreiung.“

Für Pappel weist der positive Umgang mit Pornos sogar den Weg in eine bessere Gesellschaft. „Wie schön wäre eine Gesellschaft, in der bildliche Dar­stellungen von Sexualität mit Lust und Freude verbunden werden und nicht mit Angst und Scham. Wie schön wäre es, wenn wir alle anerkennen könnten, was für eine wichtige Rolle Sexualität für ein erfülltes Leben spielt.“

Die Bücher füllen eine Leerstelle, die unter anderem Nachrichtenmedien geschaffen haben. Deren Berichterstattung kreist vorwiegend um Probleme, die zwar mit Pornografie in Verbindung gebracht werden, aber nichts mit Pornografie an sich zu tun haben. Es gibt Berichte über bildbasierte Gewalt auf Pornoseiten und über problematisches Konsumverhalten von Porno-Zuschauer*innen, Berichte über sexualisierte Gewalt in der Sexarbeit. Mit entwaffnender Nüchternheit schreibt Pappel: „Sexuelle Misshandlungen und Ausbeutung sind leider verbreitete Realitäten in unserer Gesellschaft. In meiner Erfahrung sind sie am Pornoset jedoch nicht üblicher als im Privatleben oder anderen Branchen.“

Pornoseiten mit anderen Augen sehen

Beide Autorinnen ziehen eine klare Grenze: Es ist gerade keine Pornografie, sondern Gewalt, wenn Menschen etwa gegen ihren Willen gefilmt oder angefasst werden. Die Bücher von Pappel und Oeming richten den Blick auf die bisher kaum in der breiten Öffentlichkeit thematisierte Welt diesseits dieser Grenze. Es geht um einvernehmlichen Sex, den Darsteller*innen genau so haben wollen – und Zuschauer*innen genau so sehen.

Oeming nimmt vor allem die Rezeption von Pornos in den Blick. Besonders lesenswert ist etwa ihre kulturwissenschaftliche Einordnung von Porno-Genres wie MILF, Hentai oder Lesbian. „Personen, die denken, Pornos sähen alle gleich aus, denen unterstelle ich, dass sie nicht viele Pornos gesehen haben“, schreibt sie. Nach der Lektüre wird man Startseiten von Pornoplattformen mit anderen Augen sehen – und zwar als Spiegel von Fantasien und Machtverhältnissen in der Gesellschaft.

Pappel nimmt vor allem die Produktion von Pornos in den Blick. Sie beschreibt zum Beispiel, wie Darsteller*innen vor dem Dreh ihre Wünsche und Grenzen kommunizieren. „Fast alle Menschen außerhalb der Porno­industrie, die so ein Gespräch bei und am Pornoset miterlebten, haben mir im Nachhinein gesagt: Das müsste ja immer so lau­fen, auch im Privatleben.“

Kritik an Netzsperren

In den Büchern geht es nicht nur um Zwischenmenschliches, sie üben auch politische Kritik. So nehmen beide Autorinnen die deutsche Medienaufsicht ins Visier. Im Namen des Jugendschutzes drohen die Behörden mit Netzsperren, wenn Pornoseiten keine strengen Altersschranken hochziehen. Geht es nach Deutschlands obersten Jugendschützer*innen, dann sollen Abermillionen Erwachsene vorm Besuch einer Pornoseite ihre Ausweise vorzeigen oder ihre Gesichter biometrisch scannen lassen.

„In Hinblick auf Netzneutralität und Datenschutz sind diese Vorgehensweisen in höchstem Maße problematisch, werden aber von dem Gros der Bevölkerung weitgehend protestlos hingenommen oder gar gelobt“, warnt Oeming.

Auch Pappel hält Sperren für das falsche Mittel, um Jugendliche vor negativen Erfahrungen mit Pornografie zu schützen. „Junge Menschen besitzen die Fähigkeit, zwischen einer gefilmten Sex-Performance und ihrer eigenen sexuellen Realität zu unterscheiden. Sie brauchen dafür aber die nötigen Infos“, schreibt sie.

Staatlicher Bildungsauftrag: verfehlt

Das führt zur zweiten politischen Kritik der beiden Bücher, und zwar einer bildungspolitischen. Schulen müssen Pornokompetenz vermitteln, fordert Pappel. Jugendliche müssten lernen, wie sie „selbstsicher und informiert einen kompetenten, selbstbestimmten Umgang mit Pornografie entwickeln“.

Oeming setzt noch einen drauf und beschreibt das Problem als staatliches Versagen: „Zusätzlich zur Pornokompetenzförderung brauchen wir umfassende, lustfreundliche, queer-inklusive sexuelle Bildung, damit Jugendliche die Antworten auf ihre Fragen nicht mehr in Pornos suchen müssen. Es kann nicht sein, dass Pornos als Unterhaltungsmedium den Bildungsauftrag übernehmen müssen, dem der Staat nicht gerecht wird.“ Einer solchen Bildungsoffensive stehe aber Angst im Weg – „Angst vor jugendlicher Sexualität und der zum politischen Kampfbegriff avancierten ‚Frühsexualisierung‘.“

Über Pornos als Unterhaltungsmedium schreibt auch Pappel, und hier knüpft die dritte politische Kritik an: Pappel zufolge ist es ausgerechnet Deutschlands Medienpolitik, die verhindert, dass es mehr künstlerische oder pädagogisch wertvolle Pornos gibt. Zum Beispiel schließen die Richtlinien von Filmförderungen pornografische Produktionen kategorisch aus. Es sei nur eine Frage der Finanzierung: „Wenn wir für Pornos zahlen und sie als Gesellschaft fördern, können wir ihnen erlauben, kunstvoll zu sein, und somit Kunst ermög­lichen, die uns sexuell bewegt.“

Gesetze verhindern künstlerische Pornos

Im Jahr 2022 drehte Pappel im Auftrag des ZDF Magazin Royale den ersten öffentlich-rechtlichen Pornofilm. Anders als in kommerziellen Produktionen spielt darin etwa Safer Sex eine zentrale Rolle. Der Film zeigt, wie „organisch und orgiastisch Kondome über Penisse gleiten, über Vulven gestreckte Tücher geleckt werden und ver­führerisch mit Gleitgel auf behandschuhten Händen gespielt wird“, schreibt Pappel. Aus Transparenzgründen muss hier erwähnt werden: Aufhänger für die ZDF-Sendung war eine Recherche von netzpolitik.org.

Pappels Film mit dem Titel „FFMM straight / queer doggy BJ ORAL orgasm squirting ROYALE (gebührenfinanziert)“ ist aber kein Auftakt für öffentlich-rechtliche Pornografie in Deutschland, sondern bloß eine Ausnahme. Nach wie vor bekommen Pornos in Deutschland keine Freigabe FSK 18, sondern sie sind indiziert. Das heißt, ihre Verbreitung ist streng begrenzt; auch die ZDF-Produktion durfte nicht im Fernsehen oder in der Mediathek gezeigt werden. Pappel warnt: „Die aktuelle Gesetz­gebung verhindert, dass pädagogisch wertvolle Produkte ge­schaffen und verfügbar gemacht werden.“

Jahrhunderte alte Sexualmoral

Die Bücher von Oeming und Pappel sind Gleitgel für die festgefahrene Debatte um Pornografie. Wer sie gelesen hat, gewinnt den Eindruck: Wir leben in einem lust-, sexarbeits- und pornofeindlichen Staat, dessen Gesetze von Jahrhunderte alter, religiös geprägter Ideologie geleitet sind. Zum Beispiel gibt es im deutschen Jugendschutz nach wie vor den Begriff der „Unsittlichkeit“. Darunter fallen sexuelle Medien, die das „Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich“ verletzen.

Pornos haben mich befreit

Da ist er wieder, der Begriff Scham. Bloß welche Scham soll das sein, wenn man Sexualität als Grundbedürfnis begreift, und sexuelle Selbstbestimmung als Grundrecht aller Menschen? „Pornos sind zum Wichsen da, und das ist auch gut so!“, schreibt Madita Oeming. „Erst wenn es uns gelingt, Lust und Erregung selbst als etwas Gutes statt etwas Nutzloses oder gar Bedrohliches zu begreifen, können wir auch Pornos so verstehen.“

Bleibt die Frage, was passieren muss auf dem Weg zur „pornopositiven Gesellschaft“, die Pappel fordert. Oeming schreibt von einem „Emanzipationsprozess“, der wohl zuerst durch Worte gelingt. „Es ist höchste Zeit, in unserem Sprechen und Nachdenken über Pornografie von einem Gefahren- und Schutzdiskurs in einen Lust- und Kompetenzdiskurs zu kommen“, schreibt sie. Die Bücher der beiden Autorinnen dürften den Anfang machen.


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