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Fragwürdige Pressearbeit: Die Polizei ist keine privilegierte Quelle

Zu viele Journalist:innen übernehmen unkritisch, was die Polizei sagt, schreibt und twittert. Dabei ist nach unzähligen Vorfällen klar: Die Polizei ist nicht neutral, sondern ein eigenständiger Akteur in der öffentlichen Meinungsbildung. Es wird Zeit, sie auch so zu behandeln. Ein Kommentar.

Polizist steht einer Gruppe Demonstrierenden gegenüber
Die Darstellungen von Ereignissen unterscheiden sich, je nachdem ob Demonstrierende oder die Polizei sie schildern. Doch der Polizei glauben Journalist:innen oftmals mehr. – Alle Rechte vorbehalten https://www.imago-images.de/st/0165437500

Die Polizei gilt, wie Behörden und Nachrichtenagenturen, vielen Journalist:innen als „privilegierte Quelle“. Gemeint ist, dass man dieser Quelle vertrauen kann, weil sie nüchtern, sachlich und wahrheitsgemäß berichtet. Und weil man vertraut, übernimmt man mit weniger Prüfung, was diese Quelle sagt.

Das Konzept der privilegierten Quelle ist an sich schon fragwürdig. Schließlich können auch Nachrichtenagenturen oder Behörden Fehler unterlaufen. Noch fragwürdiger ist das Konzept im Fall der Polizei. Häufig sehen wir, dass die Polizei nicht sachlich kommuniziert, sondern selbst zum Akteur der öffentlichen Meinungsbildung wird.

Aber trotz zahlreicher Vorfälle von Desinformation in den letzten Jahren schreiben immer noch viele Journalist:innen treu-doof ab, was die Polizei auf Twitter, in Pressemitteilungen oder über ihre Sprecher:innen verbreitet. Dabei ist nicht erst seit dem vergangenen Wochenende Vorsicht angesagt.

Da demonstrierte die Klimabewegung „Ende Gelände“ in Hamburg. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrant:innen. Die Polizei behauptet bis heute auf Twitter, sie sei von den Demonstrierenden mit Pfefferspray angegriffen worden und habe danach die Versammlung aufgelöst und selbst Pfefferspray eingesetzt. Eine Nachricht, die dazu geeignet ist, die Klimaproteste – die selbst unter dem Konsens stehen, keine Menschen zu gefährden – zu diskreditieren. Die Polizei-Version wurde von Teilen der Presse ungeprüft übernommen, in Springer-Medien machte man sie gar zur Überschrift, die AfD nutzte sie zur Stimmungsmache

Die Bild-Zeitung kann durch die Polizei-Meldung den „Klima-Chaoten“ schön bunt ausmalen. - Alle Rechte vorbehalten Bild.de

Nun kam heraus, dass die Polizei sich vermutlich selbst mit dem Reizgas verletzt hat als sie es unkontrolliert in den Wind sprühte. Diese Version hat auch der Spiegel-Reporter Jonas Schaible vor Ort gesehen und so aufgeschrieben.

Auch die Polizei schließt nun auf Hamburg1 und beim NDR nicht mehr aus, dass sie sich selbst mit dem Reizgas getroffen habe. Zugleich schreibt sie auf Twitter weiter, Polizeikräfte vor Ort hätten gemeldet, „dass sie aus der Personengruppe heraus mit Pfefferspray angegriffen wurden“ und verwehrt sich gegen den Vorwurf, Fake News zu verbreiten.

Wiederholungstäter Polizei

Dieses Verhalten ist nicht neu. Die Polizei ist im Hinblick auf politische Proteste immer wieder mit Falschmeldungen aufgefallen. Populäres Beispiel ist der „Türknauf des Todes“, mit dem die Berliner Polizei vor einigen Jahren auf Twitter Stimmung gegen Besetzer:innen eines Hauses machte. Unvergessen auch die Behauptung beim G8-Gipfel in Heiligendamm, die Polizei werde von Clowns mit Säure angegriffen – am Ende handelte es bei der Flüssigkeit offenbar um Pustefix.

Ebenfalls um Säure ging es im Jahr 2016, als die Berliner Polizei kolportierte, sie sei auf einer Demonstration mit „Säure-Konfetti“ beworfen worden – gemeint war Papier, das mit chemischen Stoffen behandelt worden sein soll. Auch das stellte sich als falsch heraus.

Dass die Polizei auch bei der Nennung von Zahlen hinterfragt werden muss, zeigt eine Episode vom G20-Gipfel in Hamburg. Da schrieb die Hamburger Polizei ohne jegliche Einordnung in einer Pressemitteilung: „Die Zahl der verletzten Polizeibeamtinnen und -beamten erhöhte sich auf 476.“ Der Kontext der Meldung suggerierte, dass diese Beamten:innen im Protestgeschehen verletzt wurden. Die Welt titelte dann auch: „Bei G20-Krawallen bisher 476 verletzte Beamte“. Eine Recherche von Buzzfeed zeigte aber: Etwa die Hälfte der Beamten hatte sich schon vor den eigentlichen G20-Protesten verletzt und nur 21 der 476 waren so schwer verletzt, dass sie am Folgetag nicht arbeiten konnten. 

Bei fragwürdiger Pressearbeit muss es übrigens nicht immer um Proteste gehen: Jüngst stellte das Bundeskriminalamt den Anstieg von Straftaten im Zusammenhang mit Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder in einer Pressemitteilung irreführend dar. Die dpa, als Nachrichtenagentur selbst eine „privilegierte Quelle“, übernahm die Polizeimeldung ungeprüft und musste später korrigieren

Die Fälle zeigen: Wer es mit dem Journalismus ernst meint, muss polizeiliche Verlautbarungen überprüfen und darf diese nicht einfach übernehmen. Man muss nachfragen und nachhaken, eine zweite Meinung oder unabhängige Zahlen einholen, sich durch soziale Medien wühlen, andere zu Wort kommen lassen. Schlicht gesagt: die Plausibilität der polizeilichen Aussagen prüfen.

Gut aussehen in der Öffentlichkeit

Polizeien werden von verschiedenen Interessen geleitet: Einerseits wollen sie in der Öffentlichkeit gut aussehen, letztlich geliebt und respektiert werden. Da machen sich Bilder von kontroversem polizeilichem Verhalten, von Fehlern und Polizeigewalt immer schlecht. Dazu kommt eine ausgeprägte Abwesenheit von Fehlerkultur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Korpsgeist. Gefördert wird dies durch eine obrigkeitsstaatliche Verherrlichung des Polizeiapparates quer über die Parteien hinweg.

Die Glaubwürdigkeit polizeilicher Kommunikation leidet vor allem in Fällen wie in Dortmund, wo die Polizei vergangene Woche einen psychisch kranken Jugendlichen erschoss. In einer internen Mitteilung erklärte das Polizeipräsidium Dortmund, dass keine:r der zwölf beteiligten Polizist:innen in der Situation die Bodycam angeschaltet habe.

Dass ausgerechnet in Fällen von Polizeigewalt die Bodycams nichts aufzeichnen, passiert immer wieder: Mal sind die Akkus plötzlich leer gewesen, als Polizeibeamte einen Festgenommenen mit Tritten traktieren, ein anderes Mal wurden die Bodycams nicht eingeschaltet, als ein Mensch in Mannheim bei einer Polizeikontrolle stirbt. Oder die Videokameras haben einen „Wackelkontakt“ und entscheidende 62 Sekunden fehlen, wenn bayerische Beamte ohne erkennbaren Grund Fußballfans verprügeln.

Interessengeleitete Behörden

Andere Interessen der Polizei können eher systemischer Art sein, zum Beispiel das Bedürfnis nach mehr Budget, mehr Personal oder mehr Befugnissen. Diese Wünsche, die in Deutschland lautstark von mehreren Polizeigewerkschaften artikuliert werden, können sich auch in offizielle Pressemitteilungen in eher indirekter Form einschleichen – beispielsweise über eine irreführende Darstellung von Kriminalitätssteigerungen.

Dabei gibt es eigentlich klare Regeln, wie polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit zu laufen hat: Die Polizeibehörden haben keine Meinungsfreiheit, sondern sind dem staatlichen Gebot verpflichtet neutral, sachlich und richtig zu kommunizieren. Neutral ist hierbei als politisch neutral zu verstehen.

Weil die Polizei diese Regeln immer wieder verletzt, muss die Presse sie endlich wie eine ganz normale Quelle behandeln.


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