Wenn die öffentliche Verwaltung Software entwickelt oder einkauft, sollte sie diese unter freie und offene Lizenzen stellen. Die von der Bundesregierung angestoßene Reform des Vergaberechts bietet jetzt eine gute Gelegenheit, das im Gesetz zu verankern. Für ein echtes Umdenken braucht es aber mehr als eine Gesetzesreform.
Die digitale Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen ist heute abhängig von einzelnen proprietären Software-Anbietern. Dadurch sind öffentliche Stellen gezwungen, alle Bedingungen eines Software-Anbieters zu akzeptieren, zum Beispiel Preissteigerungen oder die Produktgestaltung. Gerade erst im April 2023 hat beispielsweise Microsoft die Preise für Cloudangebote wieder einmal erhöht, nachdem schon 2021 die Ausgaben der Bundesverwaltung für Microsoft-Lizenzen zum ersten Mal 200 Millionen Euro überstiegen.
Proprietäre Software bedeutet, dass die entsprechende Lizenz die Möglichkeiten der Nutzung, Weiter- und Wiederverwendung sowie die Änderung des Quellcodes durch Dritte stark einschränkt. Diese Abhängigkeit verhindert, dass Verwaltungen ihre IT-Architektur selbst gestalten und kontrollieren sowie zwischen verschiedenen Anbietern wechseln können.
Freie und Open Source Software (FOSS) ermöglicht einen Weg aus dieser Abhängigkeit. Denn FOSS-Lizenzen erlauben es prinzipiell allen Menschen, Einblick in den Quellcode zu nehmen, diesen frei und uneingeschränkt zu verwenden, zu verändern und auch in einer veränderten Form wieder weiterzuverbreiten. Die in der Verwaltung eingesetzte FOSS-lizenzierte Software ist dadurch unabhängig überprüfbar, gestaltbar und austauschbar und ermöglicht potenziell ein höheres IT-Sicherheits- sowie Datenschutzniveau.
Die Hürden für FOSS in der Verwaltung
Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung formuliert ein klares Ziel: „Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ So würde der Einsatz von FOSS in der Verwaltung dem Prinzip „Public Money, Public Code“ folgen: Öffentlich finanzierte Software muss der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, da sie auch von der Allgemeinheit bezahlt wird.
Doch bisher ist FOSS in der Verwaltung weiterhin eher eine Ausnahme als die Regel. Oft scheitern öffentliche Stellen schon daran, dass ihnen unklar ist, wie sie FOSS beauftragen können und dürfen. Das Vergaberecht gibt strenge Regeln dafür vor, wie die Verwaltung Produkte und Dienstleistungen einkaufen muss, meist über Ausschreibungen.
Das ist auch sinnvoll, damit der Staat seine Mittel mit Bedacht verwendet und nicht ausschließlich auf bereits bestehende Anbieter zurückgreift oder einen Auftrag nach beliebigen Kriterien vergibt Doch die komplexen und langwierigen Prozesse und die bisher angelegten Kriterien legen gerade FOSS einige besonders große Steine in den Weg.
Denn FOSS schafft Mehrwerte, die in der etablierten Vergabe meist keine Berücksichtigung finden. Proprietäre Software können naturgemäß nur diejenigen nutzen, die die entsprechende Lizenz einkaufen. Bei FOSS ist das anders: Wenn eine öffentliche Stelle die Entwicklung von FOSS beauftragt oder sogar selbst entwickelt, vergrößert sich damit der Pool an Software, der auch anderen öffentlichen Stellen sowie der Wirtschaft und Gesellschaft allgemein zur Verfügung steht.
Dieser weitreichende positive Effekt auf die Gesellschaft kann von der auftraggebenden Stelle nicht berücksichtigt werden, wenn sie nur Preis und Nutzen für sich selbst bewerten darf. Auch können Behörden FOSS frei anpassen und mit anderen Diensten kombinieren. Das stellt zwar auf dem Papier keinen Mehrwert dar, der für ein FOSS-Angebot den Ausschlag geben kann, doch diese Interoperabilität schafft mehr Möglichkeiten, andere Dienste einzubinden. Und damit insgesamt mehr Gestaltungsfähigkeit für die Verwaltung.
Ein Funken Hoffnung: die Vergabetransformation
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will aktuell das Vergaberecht reformieren, um öffentliche Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Außerdem soll die Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausgerichtet werden. Über 400 Verbände, Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen haben dazu Stellungnahmen eingereicht. Auch Wikimedia Deutschland und die Open Source Business Alliance erklären dabei, wie FOSS in der Verwaltung auf die Ziele der Vergabereform einzahlt. Diese Reform ist eine ideale Gelegenheit für eine Gesetzesänderung, um es Behörden zu ermöglichen, rechtssicher bevorzugt FOSS zu beschaffen.
Wie genau soll das funktionieren? Ein von der Open Source Business Alliance in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt, wie es gehen kannt: Wann immer die Verwaltung Software einkaufen oder entwickeln möchte und die Wahl zwischen zwei oder mehr gleich gut geeigneten Lösungen hat, soll FOSS Vorrang vor proprietärer Software haben. Der Gutachter Prof. Andreas Wiebe schlägt vor, den Vorrang für FOSS im E-Government-Gesetz des Bundes oder in der Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge festzulegen. Auf Landesebene haben Thüringen und Schleswig-Holstein mit ihren E-Government-Gesetzen bereits diesen Weg gewählt.
Mehr Kompetenz in den Behörden
Eine Bevorzugung von FOSS ist jedoch nicht das einzige, was es für eine erfolgreiche digitale Transformation in der Verwaltung braucht. Mitarbeitende in Behörden müssen unbedingt lernen, geeignete Software auszuwählen und zu verwenden. In einem Beschluss zur Erarbeitung einer Open-Source-Strategie der sächsischen Landesregierung ist daher auch einer von sechs Punkten „die Förderung der Umgewöhnung und der Akzeptanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sächsischen Verwaltung in Open-Source-Software.“
Aber auch eine Umgewöhnung reicht noch nicht aus, um beim Einsatz von FOSS in der Verwaltung das volle Potenzial auszuschöpfen. Die Menschen in der Verwaltung müssen verstehen, welche aktuellen Technologien am besten die Anforderungen ihrer Behörde erfüllen. Erst mit einem solchen tiefergehenden Verständnis können sie selbstständig Software vergleichen, sie für ihre Zwecke anpassen, zwischen Anbietern wechseln und informiert FOSS von anderen öffentlichen Stellen einbinden und wiederverwenden.
Der behördliche Kompetenzaufbau ist daher neben der Reform des Vergaberechts die größte Herausforderung für eine effektive Verwaltungsdigitalisierung mit FOSS. Dazu gehört nicht zuletzt auch, dass die Einstellungsbedingungen bei Behörden dringend angepasst werden müssen: Gehälter, geforderte Abschlüsse und sonstige Benefits. Nur so wird es überhaupt attraktiv, als IT-Expert*in in einer Verwaltung zu arbeiten.
Die Bundesregierung hat sich in Koalitionsvertrag und Digitalstrategie zu freier und offener Software bekannt. Jetzt muss sie handeln!
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