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AI Act: Bundesregierung setzt sich auf EU-Ebene für mehr Gesichtserkennung ein

Im Rat der Europäischen Union hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass biometrische Überwachung teilweise erlaubt wird. Bürgerrechtsorganisationen kritisieren „gefährliche Schlupflöcher“ für neue Möglichkeiten der Massenausspähung. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel noch versprochen, biometrische Erkennung im öffentlichen Raum auszuschließen.

Auf Personen gerichtete Überwachungskamera, neben den Personen sind ihre Passbilder und Nummern abgebildet.
Auch mit einer nachträglichen Gesichtserkennung können Menschen in der Öffentlichkeit identifiziert werden. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Die Bundesregierung hat auf EU-Ebene zum wiederholten Male nicht im Einklang mit ihrem Koalitionsvertrag abgestimmt, sondern eine überwachungsfreundliche Position vertreten. Das geht aus einem Dokument hervor, dass die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage veröffentlicht hat.

Schon Anfang Dezember hatte sich der Rat der Europäischen Union, der Ministerrat aller 27 Mitgliedsländer, auf eine gemeinsame Position beim AI Act geeinigt. Für Deutschland nahm Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) an dem Treffen teil.

Die Bundesregierung stimmte damals einem weithin kritisierten Beschluss zu. Organisationen wie Algorithmwatch warnten daraufhin vor „gefährlichen Schlupflöcher“, die Anreize zur „Remote Biometric Identification“ (RBI) schaffen würden – also der biometrischen Erkennung von Menschen –, statt diese zu unterbinden. Ein Verbot sieht der Entwurf nur für eine Auswertung „in Echtzeit“ vor, während sie der privaten wie staatlichen Nutzung verschiedene Einsatzmöglichkeiten einräumt.

„Biometrische Identifizierung darf nicht ausgeschlossen werden“

In einem unbestimmten Zusatz-Statement hatte die Bundesregierung nurmehr „einige Aspekte“ des Entwurfs als „verbesserungsbedürftig“ bezeichnet, ohne dabei jedoch ins Detail zu gehen. Verwiesen wurde auch auf ein Statement vom 8. November 2022, das Digitalcourage per Informationsfreiheitsanfrage angefordert und nun veröffentlicht hat.

Aus dem englischsprachigen Dokument geht hervor, dass sich die Bundesregierung eindeutig für den Einsatz von „Remote Biometric Identification“ einsetzt. Hierzu heißt es:

Eine retrograde biometrische Identifizierung, z.B. bei der Beweiswürdigung, darf jedoch europarechtlich nicht ausgeschlossen werden.

Zur „Remote Biometric Identification“ gehören unter anderem Verfahren wie Gesichtserkennung. Die Bundesregierung macht in dem Dokument klar, dass sie Gesichtserkennungsverfahren weiterhin nutzen möchte. Sie sollen vor allem bei der späteren Durchsuchung von Überwachungsmaterial zum Einsatz kommen. Nur eine Echtzeitauswertung per RBI will die Ampel-Regierung verbieten. Damit wäre allerdings eine Massenüberwachung möglich, die Videoaufnahmen oder andere Überwachungsmaterialien quasi auf Vorrat vorhält, damit diese im Nachgang mit biometrischen Verfahren analysiert werden können.

„Ampel verstößt gegen Koalitionsvertrag“

Konstantin Macher, Campaigner bei Digitalcourage, erklärt dazu:

„Die Ampel verstößt mit ihrer Unterstützung für nachgelagerte biometrische Massenüberwachung gegen den Koalitionsvertrag.“

Tatsächlich setzt der Koalitionsvertrag der biometrischen Überwachung enge Grenzen. So heißt es darin unter anderem:

„Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“

Und weiter:

„Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.“

„Riesiges Schlupfloch“

Digitalcourage hält die Ratsposition, die nur Echtzeitsysteme verbietet, für problematisch und lehnt diese ab. Denn diese Klausel verhindere nicht den Missbrauch biometrischer Daten zur Massenüberwachung. Außerdem sei unklar, wie viel Zeit verstreichen müsse, damit es sich nicht um einen Einsatz etwaiger Systeme in „Echtzeit“ handelt. „Vieles wäre mit der Begrenzung auf Echtzeit zulässig, zum Beispiel die biometrische Massenüberwachung aller, die sich 2017 während der Zeit des G20-Gipfels durch Hamburg bewegt haben“, so Digitalcourage weiter.

Mit ihrer Zustimmung hat die Bundesregierung nun die Chance verpasst, biometrische Überwachung deutlich abzulehnen. Bei den voraussichtlich im Frühling beginnenden Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat ist der Einfluss der Ampel-Regierung weitaus geringer als im Ministerrat. Der Anfang Dezember beschlossene Kompromiss bildet die Grundlage für diese Verhandlungen.

Auf europäischer Ebene setzt sich das Bündnis „Reclaim your Face“ gegen Gesichtserkennung und andere biometrische Systeme der Fernidentifizierung ein.


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