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Einmaleins unserer Kalkulation: Warum fehlt uns am Ende des Jahres so viel Geld?

Ein riesiger Druck liegt auf diesem einen Monat Dezember. Wie kommt es zu einer fehlenden Viertelmillion auf den letzten Metern unserer Spendenkampagne? Und muss das sein?

Menschen auf dem Feld, die das Heu ernten.
Mit der jährlichen Kalkulation ist es wie mit der Ernte: Wir wissen nicht, was am Ende rauskommt. Ob wir mit Hagel oder Sonnenschein rechnen können. Aber wir erwarten Sonnenschein, sind für den Hagel aber ausgerüstet mit Helmen. – Public Domain Léon Augustin Lhermitte

„Warum braucht ihr am Ende des Jahres noch so viel Geld?!“

Diese Frage erreicht uns häufiger in den letzten Wochen des Dezembers. Ich verstehe, warum. Auch alle, die neu im Team von netzpolitik.org sind und erstmals eine Spendenkampagne verfolgen, schauen Ole und mich häufig etwas ungläubig an, wenn klar wird, dass wir mit einer fehlenden knappen halben Million auf das Jahresende zusteuern.

Und ja, das ist verdammt viel Geld. Es ist auch mehr, als uns in den Jahren zuvor gefehlt hat. Am heutigen Tag sind es noch genau 226.288 Euro. Von außen betrachtet kann der Eindruck entstehen, dass wir das gesamte Jahr über unsere Verhältnisse leben. In den letzten vier Wochen verfallen wir dann in hektische Panik, weil wir den großen Haufen Penunzen vielleicht nicht zusammenbekommen. Doch so ist es nicht.

Der § 55 Abs. 1 Nr. 5 und Weihnachten

Die meisten gemeinnützigen Organisationen stehen regelmäßig vor der gleichen Herausforderung: Der Dezember ist immer der ertragreichste Monat des Jahres. Das ist nicht nur bei gemeinnützigen Organisationen so. Auch Menschen, die mit YouTube oder Twitch ihr Geld verdienen oder ein Tierheim betreiben, wissen, dass im Dezember gleich um ein Vielfaches mehr gespendet wird als in vorangegangen Monaten.

Dieses große Spendenaufkommen im Dezember verfestigt sich jedoch nur zu einem Bruchteil in regelmäßigen Spenden. Das ist die Herausforderung, die wir jedes Jahr angehen: Die Anzahl der Dauerspenden zu erhöhen, damit am Ende des Jahres das Loch nicht so groß ist. Das ist jedoch deutlich schwieriger, als Menschen zum einmaligen Spenden zu bewegen.

Gemeinnützige Organisationen unterscheidet von anderen Unternehmungen aber vor allem eines: Wir sind per Gesetz dazu angehalten, die Spenden zeitnah für den Zweck unserer Organisation einzusetzen. Dazu zwingt die Abgabenordnung, Dritter Abschnitt (Steuerbegünstigte Zwecke). Sie ist das juristische Fundament, auf dem gemeinnützige Organisationen stehen.

Das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung in Kombination mit dem stets erhöhten Spendenaufkommen im Dezember führt zu der Situation, in der wir uns jedes Jahr befinden. Die Spenden aus dem vergangenen Jahr sollen für den Zweck der Organisation eingesetzt werden – zeitnah. Und das ist richtig! Die zeitnahe Mittelverwendung ist auch eine Verpflichtung gegenüber den Spender*innen. Niemand von euch spendet, damit wir in zehn Jahren vielleicht mal etwas zur Chatkontrolle oder zum Staatstrojaner schreiben. (Obwohl wir leider in zehn Jahren wohl immer noch (!) darüber berichten werden müssen.)

Unsere jährliche Investitionsplanung basiert demnach auf den Spendeneinnahmen des Vorjahres – ohne zu wissen, ob wir im laufenden Jahr erneut das Spendenziel erreichen. Aber so läuft das. Unser Anspruch ist es, jeden Beitrag von euch auch so schnell wie möglich dem Zweck zugutekommen zu lassen, für den ihr ursprünglich gespendet habt.

Ein Abgrund an Landesverrat

Besonders anschaulich wurde die Situation für uns im Jahr 2015. Damals wurde gegen netzpolitik.org wegen Landesverrats ermittelt. Das hatte zur Folge, dass die Spenden in diesem Zeitraum aus Solidarität mit uns immens gestiegen sind.

Auf einmal war viel mehr Geld da. Gleichzeitig erhöhte sich auch der Aufwand – für Buchführung, für Spendenkommunikation. Zugleich wurde eines sehr deutlich: netzpolitik.org war kein kleines Projekt mehr, sondern spielte ab diesem Moment in einer anderen Liga. Damit wurde unvermeidbar, dass die Redaktion mehr Menschen braucht, die sich im Hintergrund kümmern, damit die Berichterstattung weitergehen kann. So ist meine Stelle entstanden – und die Stellen weiterer Menschen.

Die später eingestellten Landesverrat-Ermittlungen und das damit verbundene hohe Spendenaufkommen waren natürlich einmalig. Es konnte also nicht davon ausgegangen werden, dass sich das jährliche Spendenaufkommen in gleicher Weise erhöht. Aber weder bestand die Option, die Spenden nicht für den Kampf für digitale Grund- und Freiheitsrechte einzusetzen, noch nicht zu wachsen.

Der zwölfte Monat ist der Sprung nach dem Anlauf

Seit es netzpolitik.org gibt, steigen die monatlichen Spenden glücklicherweise. Die Redaktion kann sich jedes Jahr mehr auf ihre Artikel fokussieren, weil andere Menschen im Team alle anderen Aufgaben erledigen. Das merken wir auch an euch. Die Zugriffszahlen steigen kontinuierlich – stärker noch als die monatlichen Spenden. Und jedes Jahr bekommen wir zwischen 25 und 35 Prozent unserer Spendeneinnahmen im Dezember.

Dadurch entsteht zwingend ein unterjähriges Defizit, das sich erst am letzten Tag des Jahres – hoffentlich – in einen Überschuss wandelt. Mit dem Spendenaufkommen im Dezember müssen wir genauso rechnen wie mit den unterjährigen Spenden. Es geht nicht, diesen einen Monat so zu betrachten wie alle anderen – oder das gesamte Jahr zu betrachten ohne den Dezember. Der Dezember und das entsprechende Defizit bis zum letzten Tag des Jahres sind Teil der Kalkulation.

Wir haben in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet und die Balance zwischen Investitionen und Rücklagen, zwischen prognostiziertem und erreichtem Spendenziel immer ziemlich gut getroffen. Wir sind nicht pleite, wenn wir das Spendenziel nicht erreichen. Das sollte nie passieren, denn dann hätte man noch ganz andere Probleme – Stichwort „Insolvenzverschleppung“. Wir haben Rücklagen, die auch ein unterjähriges Defizit auffangen können.

Doch wir müssen und wollen mittelfristig planen können. Mit einem signifikanten Spendendefizit in das neue Jahr zu gehen, bedeutet in der Folge entweder strukturelle Veränderungen oder starke Investitionen in Fundraising. Wir wollen beides nicht.

Kleiner als jetzt geht es nicht

Unsere aktuelle Größe ermöglicht uns, über eine Vielzahl von Themen zu berichten, Tiefe in manche Themen zu bringen, an jeder Stelle mittlerweile Profis sitzen zu haben und nichts einfach nebenbei machen zu müssen, weil es niemanden dafür gibt. Die Ausnahme bildet das Fundraising. Es ist bei uns eine Art Gemeinschaftsaufgabe, in diesem Jahr federführend von Ole, Daniel und mir – mit toller Unterstützung aus dem gesamten Team! Aber wir sind nicht explizit dafür angestellt.

Die Spendenkampagne ist jedes Jahr der Moment, in welchem wir lauter als im Rest des Jahres zeigen, wofür wir stehen, was wir tun, was wir erreicht haben und warum es uns braucht. Und ja, es ist total anstrengend, das „nebenbei“ zu machen, aber es ist auch großartig. Denn wir brauchen den gemeinsamen Moment im Jahr, an dem wir auf uns und unsere Themen zurückschauen und all die Kleinigkeiten, die uns im Alltag übers Jahr nerven, mal vergessen und sagen können: Dieses Projekt ist einmalig. Wir wollen und werden dafür kämpfen, dass es bestehen bleibt. Darunter geht es nicht mehr.

netzpolitik.org konnte sich vor einigen Jahren noch erlauben, so klein zu sein, weil sich sonst kaum jemand mit unseren Themen auseinandersetzte. Heute könnten wir uns nicht mehr leisten, aus drei oder vier Leuten zu bestehen. Es gibt einfach zu viel Gegenwind auf der anderen Seite: und zwar bei denjenigen, die digitale Grund- und Freiheitsrechte einschränken wollen. Weil sie damit Geld verdienen oder ein Häkchen auf der politischen Agenda machen können.

Wir brauchen diese 1.116.000 Euro, die wir als Spendenziel gesetzt haben, damit wir dem etwas entgegensetzen können. Wir schießen manchmal mit Spatzen auf Kanonen. Aber das tun wir sehr effektiv. Der Mehrwert einer jeden Spende ist enorm: Wir können Druck machen. Kein Überwachungsgesetz kann an uns vorbei durchgewunken werden.

Mit Pauken und Tröten!

An der einen oder anderen Stelle finden sich auf netzpolitik.org gerade sehr viele Aufrufe zum Spenden. Aber lieber nerven wir ein paar Menschen da draußen als auch nur ein Teammitglied zu verlieren. Und wir wollen nicht weniger Ressourcen haben, um auf wichtige netzpolitische Entwicklungen hinzuweisen, die sich auf alle Menschen auswirken. Das ist die Abwägung.

Seht uns also nach, wenn es am Ende des Jahres ein paar Posts, Tweets, Trotz mehr sind, die um Spenden bitten. Jede Spende hilft uns, jeder Tweet und Tröt führt dazu, dass Menschen uns unterstützen. Wenn ihr könnt, beteiligt euch!


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