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Netzneutralität: EU-Kommission hält an umstrittenen Plänen für Zugangsgebühren fest

Die EU-Kommission will große IT-Konzerne wie Google zur Kasse bitten. Sie sollen einen „fairen und angemessenen Beitrag“ zum Ausbau der Netzinfrastruktur leisten. Doch statt die Netzneutralität abzuschaffen, könnte die Kommission einen erneuten Anlauf für eine Digitalsteuer unternehmen.

Die EU-Kommissar:innen Margrethe Vestager und Thierry Breton halten weiter an ihrem Plan fest, Zugangsgebühren für große IT-Konzerne in europäische Netze einzuführen. – Alle Rechte vorbehalten Fotos: IMAGO / Montage: netzpolitik.org

Die EU-Kommissar:innen Margrethe Vestager und Thierry Breton beteuern in einem aktuellen Brief an EU-Abgeordnete, nicht an der Netzneutralität rütteln zu wollen. Zugleich betonen sie, dass alle Akteure auf dem Markt, die von der digitalen Transformation profitieren, auch einen „fairen und angemessenen Beitrag“ leisten sollen.

Im Mai hatte Vestager die langjährige Forderung großer europäischer Telekommunikationsunternehmen wie Telekom Deutschland und Telefonica aufgegriffen, Inhalteanbieter wie Youtube oder Netflix gesondert zu Kasse zu bitten. Die Lobbyorganisation ETNO (European Telecommunications Network Operators Association) argumentiert, dass IT-Konzerne von ihrer Infrastruktur profitieren, ohne zu den Kosten für den Netzausbau beizutragen.

Solche Zugangsgebühren wären jedoch ein „ernsthaftes Risiko“ für das offene Internet, warnten dutzende Abgeordnete des EU-Parlaments. Weder gebe es eine „Notsituation“, die einen derart tiefen Eingriff in das Internet notwendig machen würde, noch sei es gesichert, dass etwaige Mehreinnahmen der Netzbetreiber tatsächlich in den Infrastrukturausbau fließen würden.

Steuern statt Zugangsgebühren

„Wer will, dass die Digitalkonzerne einen gerechten Beitrag zum Gemeinwohl leisten, muss sie fair besteuern“, sagt der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) in einer Pressemitteilung. Die von der Kommission geplanten Gebühren an die Telekommunikationsindustrie seien eine Abschaffung der Netzneutralität durch die Hintertür, so Breyer.

„Diese Art von Zugangsgebühr würde den langjährigen Internetgrundsatz der Netzneutralität radikal abschaffen, der von den Internetdienstanbietern verlangt, den Zugang zu allen Websites, Inhalten und Anwendungen mit der gleichen Geschwindigkeit und unter den gleichen Bedingungen zu ermöglichen, ohne Inhalte zu blockieren oder zu bevorzugen“, sagt der Piratenabgeordnete. Solche Gebühren würden die Gefahr bergen, dass der Internetzugang teuer und der Zugriff auf wichtige Internetdienste verlangsamt oder sogar unterbrochen werde.

Die EU-Verordnung zur Netzneutralität wurde 2015 nach einer langen politischen Debatte verabschiedet und sichert das offene Internet in Europa. Auch das Schlupfloch mit Zero-Rating-Tarifen hatte der Europäische Gerichtshof im Vorjahr mit einem Grundsatzurteil geschlossen. Wie der für den Anfang kommenden Jahres erwartete Gesetzentwurf der EU-Kommission mit diesen Prinzipien vereinbar sein könnte, bleibt vorerst unklar.

Regulierer sind skeptisch

Erst letzte Woche hat das europäische Gremium der Telekomregulierungsbehörden (BEREC) eine erste Einschätzung zu den Plänen der Kommission veröffentlicht. Darin stellen die Regulierer in Frage, ob es eine ausreichende Begründung für eine derartige Intervention in den Markt gibt. Das diskutierte „Sending Party Network Pays“-Modell würde es den Netzbetreibern jedenfalls erlauben, ihre Marktmacht auszunutzen und könnte das Internet-Ökosystem „signifikant beschädigen“.

Zudem weist das BEREC-Papier erneut darauf hin, dass es den Netzbetreibern finanziell gut gehe und der steigende Datenverkehr nicht von den Inhalteanbietern verursacht werde, sondern von den Endkunden, die ihn anfordern – und die dafür monatlich zahlen und somit die Kosten abdecken.

In Brüssel wird gemunkelt, dass Ende des Jahres eine öffentliche Konsultation zu der geplanten Initiative der Kommission starten soll. Ein konkreter Gesetzentwurf könnte im ersten Quartal 2023 folgen. Gegen diesen Plan laufen auch viele zivilgesellschaftliche Gruppen Sturm, darunter die Electronic Frontier Foundation (EFF) und der Chaos Computer Club (CCC).

Zank um gerechte Verteilung

Die Alternative wäre eine europaweite Digitalsteuer für große Tech-Konzerne. Sie ist schon lange im Gespräch, bleibt politisch aber heiß umstritten. Einzelne Länder wie Frankreich haben inzwischen auf eigene Faust Regelungen eingeführt, müssen aber mit Vergeltungsmaßnahmen etwa aus den USA rechnen, wo viele der Konzerne sitzen.

Eine globale Mindeststeuer scheitert auf EU-Ebene derzeit am Widerstand Ungarns. Auf der Bremse stand in der Vergangenheit aber auch Deutschland und der damalige Finanzminister Olaf Scholz. Als weitere Alternative hatte letzte Woche der deutsche Bundesverband Breitbandkommunikation einen Infrastrukturfonds in die Debatte eingebracht, der zu einer „gerechten Verteilung“ führen könnte.


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