SPD, Grüne und FDP haben bei Amtsantritt versprochen, wichtige staatliche Informationen wie Gutachten und Behördendaten laufend proaktiv zu veröffentlichen. Fast ein Jahr später lässt das Transparenzgesetz noch auf sich warten. Langsam wird die Zeit knapp.
Es gibt ein ungeschriebenes netzpolitisches Gesetz, das besagt: Fortschritte bei der staatlichen Transparenz werden entweder am Anfang oder am Ende einer Legislaturperiode erzielt – oder gar nicht. Denn der Aufwand, lang etablierte Verwaltungsprozesse zu öffnen, ist ähnlich groß wie der Widerstand vieler Behörden und Ministerien gegen mehr öffentliche Einsicht. Deshalb braucht es in der Regel entweder den Schwung eines frischen Regierungsstarts oder die pflichtschuldige Erledigung gemachter Versprechen im Jahr vor der nächsten Wahl.
Nachdem die Politik zuletzt von Korruptionsskandalen wie den Maskendeals erschüttert wurde, hat sich auch die Ampel-Koalition vorgenommen, bei der Transparenz einen großen Schritt nach vorne zu machen. Ein zentraler Baustein: Ein modernes Transparenzgesetz, das die bestehenden Informationsfreiheitsgesetze des Bundes ablösen soll. Bislang mussten Bürger:innen den Staat um jedes Dokument einzeln bitten. Kommt das neue Gesetz, muss der Staat Informationen wie Gutachten, Verträge oder Daten aus Umweltmessungen laufend auf einem eigenen Portal veröffentlichen.
Als Vorbild dient Hamburg, das sich nach einem erfolgreichen Volksentscheid 2012 als erstes ein Transparenzgesetz gegeben hat. Einer Evaluation zufolge erhöht es das Vertrauen in Politik und Verwaltung und erleichtert politische Teilhabe. Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Sachsen zogen nach. Immer wieder scheitern derartige Versuche jedoch auch, zuletzt im Bundesland Berlin, wo sich die rot-rot-grüne Koalition nicht über die Details eines geplanten Transparenzgesetzes einig werden konnte.
Ein solches Schicksal könnte auch dem Bundestransparenzgesetz drohen. In ihrem ersten Regierungsjahr macht die Ampel bislang kaum Anstalten, das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen. In Zivilgesellschaft und linker Opposition wachsen deshalb die Zweifel, ob es überhaupt noch gelingen wird.
Die Zivilgesellschaft legt vor
Kritik am bislang nicht gelieferten Transparenzgesetz liefert zum Beispiel Anke Domscheit-Berg. „Alles was mit Öffentlichkeit zu tun hat, bleibt bei der Ampel in der Realität weit hinter den Erwartungen zurück“, schreibt uns die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Ich glaube, das Transparenzgesetz wird (wenn überhaupt), erst zum Ende der Koalition kommen, es fehlt ja auch in der Digitalstrategie komplett und das ist sicher kein Zufall.“
Dem widersprechen Abgeordnete der Ampel-Koalition. „Das Transparenzgesetz wird eine neue Kommunikationskultur unserer Verwaltung fördern, in der Antworten statt mit hohen Gebühren belegte Auskunftsansprüche im Zentrum stehen“, verspricht die innenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, Misbah Khan. Auch ihr SPD-Kollege Sebastian Hartmann und FDP-Digitalsprecher Maximilian Funke-Kaiser bekräftigen gegenüber netzpolitik.org, das wichtige Projekt aus dem Koalitionsvertrag realisieren zu wollen.
Wie das konkret aussehen könnte, zeigt ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs wie Mehr Demokratie, FragDenStaat, Transparency International Deutschland, das Netzwerk Recherche, die Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit, LobbyControl und abgeordnetenwatch.de haben sich zusammengeschlossen, um selbst einen Gesetzentwurf zu schreiben.
Im Sommer 2022 hat die Initiative ihren Text vorgelegt und so den Druck auf die Ampel-Koalition erhöht. Unter anderem sollen umfangreiche Veröffentlichungspflichten für die Verwaltung gelten und Gebühren für behördliche Auskünfte komplett wegfallen. Außerdem sieht der Entwurf die Veröffentlichung von Daten in maschinenlesbaren Formaten und einen schlanken Ausnahmekatalog vor. In einer digitalen Konsultationsphase konnten interessierte Bürger:innen den Entwurf kommentieren.
Ampel-Abgeordnete für Gebühren-Abschaffung
Der Vorstoß der NGOs bekommt Zuspruch von den Ampel-Parteien und der Linken. Die größte Oppositionsfraktion CDU/CSU schweigt auf Anfrage zum Thema Transparenzgesetz. Er finde es gut, „dass durch die Initiative etwas Druck aufgebaut wird, um hier voranzukommen“, sagt FDP-Politiker Funke-Kaiser. Misbah Khan von den Grünen verspricht, die Arbeit der Zivilgesellschaft zu berücksichtigen und „partnerschaftlich zusammenzuarbeiten“.
SPD-Politiker Hartmann, dessen Parteikollegin Nancy Faeser als Bundesinnenministerin für das Transparenzgesetz zuständig ist, lobt ebenfalls die „wertvollen Anregungen“ der NGOs. Er betont aber, dass „die Gesetzentwürfe letztlich natürlich durch die für die Gesetzgebung zuständigen Verfassungsorgane erstellt werden müssen“.
Inhaltlich finden sich durchaus Berührungspunkte zwischen den Vorstellungen der Ampel-Abgeordneten und der Zivilgesellschaft. Auf Anfrage nennt Funke-Kaiser hier etwa „den automatischen Zugang zu Unterlagen der Verwaltung“. Hartmann macht sich für die vorgeschlagene Abschaffung von Gebühren stark, „da demokratische Teilhabe keine Frage des Geldes sein darf.“ Auch Khan nennt Gebührenfreiheit und zudem eine Stärkung der Aufsichtsfunktion des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Ebenfalls unterstützt Khan Schnittstellen für automatisierte Datenabrufe „mittels Linked Open Data“.
„Ein vergleichsweise dickes Brett“
In vielen Punkten herrscht also Einigkeit. Doch wann kommt das Gesetz? Die Ampel-Abgeordneten rechnen für 2023 mit einem Entwurf aus dem zuständigen Bundesinnenministerium. SPD-Innenpolitiker Hartmann berichtet, das BMI arbeite an einem Eckpunktepapier. Tatsächlich ist das Transparenzgesetz in einer auf FragDenStaat veröffentlichten Vorhabenplanung des BMI für 2023 gelistet. Das Ministerium antwortet auf Anfrage, es handele sich um ein „umfangreiches und rechtlich komplexes Vorhaben“, möchte sich jedoch nicht zum Zeitplan äußern.
Die Zeit drängt allerdings, auch wenn die Bundestagswahl 2025 noch weit entfernt scheint. Denn wenn erst Ende kommenden Jahres ein Referentenentwurf vorliegen sollte, bleiben bis zum Ende der Legislaturperiode nur etwa 18 Monate, um das komplexe Vorhaben unter Dach und Fach zu bringen. Überdies hat die Ampel noch einen Rechtsanspruch auf Open Data versprochen. Da sei „ein vergleichsweise dickes Brett“ zu bohren, gesteht deshalb der FDP-Abgeordnete Funke-Kaiser.
„Ich würde nicht darauf wetten wollen, dass das Transparenzgesetz überhaupt kommt“, erklärt Oppositionspolitikerin Domscheit-Berg. Man werde das Vorhaben von Jahr zu Jahr zu schieben und zum Schluss am mangelnden Konsens scheitern lassen, prognostiziert die Linken-Politikerin. Sie schiebt hinterher: „Ich würde mich freuen, wenn ich mich irre“.
Transparenzexperte Arne Semsrott verknüpft die Frage nach dem Zeitplan deshalb mit der nach den zuständigen Akteur:innen. „Das Innenministerium war bisher noch nie ein Fan von Transparenz“, sagt der netzpolitik.org-Autor und Projektleiter von FragDenStaat unter Verweis auf juristische Auseinandersetzungen mit dem Ministerium. „Wenn es erst Ende 2023 mit der Arbeit an einem Transparenzgesetz beginnt, muss man befürchten, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode gar kein neues Gesetz gibt.“
Semsrott ruft deshalb das Parlament auf, nicht auf das Innenministerium zu warten, sondern selbst aktiv zu werden: „Es wäre sehr sinnvoll, wenn ein Gesetz zur Transparenz der Verwaltung aus der Mitte des Bundestags eingebracht würde.“
Davon aber wollen die Ampel-Abgeordneten bisher nichts wissen. Zuständig sei das Bundesinnenministerium, sagen Hartmann, Khan und Funke-Kaiser unisono. Falls sie es sich anders überlegen sollten, wissen sie, wo sie einen Gesetzentwurf zur Inspiration finden.
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