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Urheberrecht: Internet Archive wehrt sich gegen Millionenklage

Bibliothek
Das Internet Archive stellt eine Bibliothek im Internet zur Verfügung (Symbolbild). Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Haut Risque

Die Verlage Hachette Book Group, HarperCollins, John Wiley Sons und Penguin Random House haben 2020 das gemeinnützige Internet Archive verklagt. Das Archiv stellt Bücher in seiner Bibliothek kostenlos zur Verfügung und nutzt dafür nicht die übliche kommerzielle Infrastruktur der Verlage. Die Verlage wollen für 127 mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen um die 19 Millionen US-Dollar, was etwa dem Jahresbudget des Internet Archives entspricht. Nun wehrt sich das Archiv mit einem Antrag auf Beendigung dieser existenzbedrohenden Klage.

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) verteidigt das Internet Archive. In einer Mitteilung schreibt sie, dass die „radikale Klage“ der Verlage darauf abziele, das Ausleihen in Bibliotheken zu kriminalisieren. Die digitale Ausleihe des Internet Archives habe die Verlage „nicht einen Cent an Einnahmen gekostet“, argumentiert die EFF in der Verteidigungsschrift. Konkrete Beweise würden zeigen, dass die digitale Ausleihe des Archivs den Markt für Bücher nicht beeinträchtige und auch in Zukunft nicht beeinträchtigen werde. Das Internet Archive sieht sein Bibliotheksmodell als Fair-Use im Rahmen des US-amerikanischen Urheberrechts gedeckt.

„Sollten wir Bibliotheken davon abhalten, Bücher zu besitzen und zu verleihen? Nein“, sagt Brewster Kahle, der Gründer des Internet Archive und digitaler Bibliothekar laut Pressemitteilung. „Wir brauchen Bibliotheken, um unabhängig und stark zu sein, jetzt mehr denn je, in einer Zeit der Fehlinformation und der Herausforderungen für die Demokratie. Deshalb verteidigen wir das Recht der Bibliotheken, ihre Kunden dort zu betreuen, wo sie sind, nämlich online.“

Kampf um das alte Bibliotheksprinzip

Das Internet Archive nutzt für die Ausleihe ein Modell, das „Controlled Digital Lending (CDL) heißt. Die EFF beschreibt das Verfahren so: „Über CDL erstellen und verleihen das Internet Archive und andere Bibliotheken digitale Scans von gedruckten Büchern aus ihren Beständen, wobei sie strengen technischen Kontrollen unterliegen. Jedes Buch, das über CDL ausgeliehen wird, wurde bereits gekauft und bezahlt, sodass die Autoren und Verleger bereits vollständig für diese Bücher entschädigt wurden.“ Nutzer:innen benötigen zum Ausleihen lediglich einen Account bei der Bibliothek des Internet Archives.

Auf dem US-Bibliotheksmarkt ist „Controlled Digital Lending“ nicht der Standard. Vielmehr haben sich Geschäftsmodelle durchgesetzt, bei denen Unternehmen wie Overdrive den Bibliotheken die Bücher gegen eine Gebühr verleihen. In der Regel ist das deutlich teurer als bei analogen Büchern, heißt es in einem Artikel des New Yorker. Für Rechteinhaber ist das Modell lukrativer. 

Laut einem Bericht von The Daily Dot hat das Internet Archive das Prinzip des Controlled Digital Lending in der Anfangszeit der Pandemie und nach der Schließung vieler Bibliotheken umgangen, indem es  die „Nationale Notfallbibliothek“ ausrief. Im Gegensatz zur üblichen Funktionsweise des CDL erlaubte das Internet Archive während dieser mehrmonatigen Phase den gleichzeitigen Zugriff auf dieselbe digitale Kopie eines Textes. Das löste damals einen Aufschrei bei Schriftstellerverbänden aus. Die Verlage reichten Klage ein.

Doch es geht den Verlagen und dem Schriftstellerverband „Authors Guild“ nicht nur um die Notfallbibliothek, sondern um das 1-zu-1-Verleihprinzip CDL selbst. Der Verband erklärte laut Daily Dot: „Es gibt einfach keine gesetzliche Grundlage dafür, ganze Bücher einzuscannen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“ Ebenso wird das Grundprinzip des Controlled Digital Lending in der Klageschrift der Verlage als hinfällig und „aus dem Hut gezaubert“ bezeichnet.

Verlage wollen Kontrolle über Bibliotheken

Den Verlagen und dem Verband ist es also ein Dorn im Auge, dass das alte analoge Prinzip des Bücherverleihens nach gleichen Regeln in die digitale Welt übertragen wird. Das wirft auch die EFF den Verlagen vor: „Sie streben ein neues Recht an, das dem US-amerikanischen Urheberrecht fremd ist: das Recht zu kontrollieren, wie Bibliotheken die Bücher, die sie besitzen, ausleihen dürfen“, sagt Corynne McSherry, Leiterin der Rechtsabteilung der EFF. Laut dem Internet Archive gefährdet die Klage 1,4 Millionen Bücher, die teilweise nur in diesem Projekt digital vorliegen.

„Das Internet Archive und die Hunderte von Bibliotheken und Archiven, die es unterstützen, sind keine Raubkopierer oder Diebe. Sie sind Bibliothekare, die sich bemühen, ihren Kunden online genauso zu dienen, wie sie es seit Jahrhunderten in der stationären Welt getan haben. Das Urheberrecht hindert eine Bibliothek nicht daran, ihre Bücher an ihre Kunden auszuleihen, und zwar eines nach dem anderen“, so McSherry weiter. Auch Creative Commons unterstützt das Archive in dieser Position.

Zugang zum Internet-Erbe

Das Internet Archive bietet nicht nur eine Bibliothek, sondern speichert unter anderem Webseiten. Diese historische Datenbank archivierter Webseiten leistet einen unverzichtbaren Beitrag für die Nachwelt und auch für journalistische Recherchen. Seit 1996 hat sich das Internet Archive zum Ziel gesetzt, universellen Zugang zu Wissen zu ermöglichen.

Nach eigener Auskunft hat das Archiv bislang 625 Milliarden Webseiten, 38 Millionen Bücher und Texte sowie viele Millionen Audios, Videos und Bilder archiviert. Seit 2006 scannt das Internet Archive in Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken auch Bücher.


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