Wer in Texas einen Schwangerschaftsabbruch nach der sechsten Schwangerschaftswoche direkt unterstützt, muss nun mit einer Geldbuße von mindestens 10.000 US-Dollar rechnen. Das legt das neue Abtreibungsgesetz „SB8-Gesetz“ fest, das seit September 2021 in dem US-Bundesstaat gilt.
Damit ist es das strengste Abtreibungsgesetz in den Vereinigten Staaten und löste eine Kontroverse aus. Die Anti-Abtreibungsorganisation „Texas Right to Life“ wollte die neue Gesetzesgrundlage mit Hilfe einer Whistleblower-Website greifbar machen: Bürger:innen können dort anonyme Tipps zu einem möglichen strafbaren Schwangerschaftsabbruch abgeben. Pro-Choice-Aktivist:innen, die sich für eine liberale Abtreibungspolitik einsetzen, unterwanderten daraufhin diese Website mit Falschmeldungen und brachten die Seite so für kurze Zeit zum Absturz.
Kamala Harris: Marginalisierte Frauen sind besonders betroffen
Unterdessen konnte die gemeinnützige Organisation „Planned Parenthood“ eine einstweilige Verfügung gegen das Gesetz in Texas erwirken. Das Abtreibungsgesetz, auch „Heartbeat Bill“ genannt, richtet sich nach dem Zeitpunkt, ab dem der Herzschlag eines Fötus erkennbar ist – was in der Regel ab der sechsten Schwangerschaftswoche der Fall ist. Nach diesem Zeitpunkt darf keine Abtreibung mehr vollzogen werden. Dabei macht die Gesetzeslage auch keine Ausnahme, wenn es sich um eine Schwangerschaft durch Vergewaltigung oder Inzest handelt. Das Gesetz steht deswegen in starker Kritik. Bei rund 85 bis 90 Prozent der Schwangeren in Texas wird ein Schwangerschaftsabbruch erst nach der sechsten Woche vollzogen. Diese Zahlen gab die Bürgerrechtsorganisation ACLU bekannt.
Ein Grund dafür ist, dass der Beginn einer Schwangerschaft rechnerisch mit der letzten Menstruationsblutung beginnt. Wenn die nächste Regelblutung dann wegen der Schwangerschaft ausbleibt, ist die Person schon einige Wochen schwanger. Es bleibt nach dem neuen „SB8-Gesetz“ dann kaum noch Zeit, um eine potenzielle Abtreibung vorzunehmen. US-Präsident Joe Biden und US-Vizepräsidentin Kamala Harris schlossen sich dem Widerstand gegen das Anti-Abtreibungsgesetz an. In einem Statement aus dem Weißen Haus äußert sich Harris mit den Worten:
Patientinnen in Texas werden nun gezwungen sein, in andere Bundesstaaten zu reisen oder ihre Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen. Dieses Gesetz wird den Zugang zu reproduktiver Versorgung für Frauen in Texas drastisch einschränken, insbesondere für Frauen mit geringem Einkommen und farbige Frauen.
Schwangere aus marginalisierten Gruppen sind deswegen besonders hart von dem Heartbeat-Gesetz betroffen, da ihnen systematisch weniger Ressourcen, wie Zeit oder Geld, zur Verfügung stehen, um eine Abtreibung (in einem anderen US-Bundesstaat) vorzunehmen.
10.000 Dollar Prämie für Whistleblower
Für viele Pro-Choice-Aktivist:innen ist es deswegen besonders zynisch, dass all jenen, die Schwangere bei einer Abtreibung nach sechs Schwangerschaftswochen unterstützen, ein Bußgeld von mindestens 10.000 Dollar droht. Dazu zählen nicht nur Ärtz:innen und Patient:innen, sondern auch Fahrer:innen und Fachberater:innen der Betroffenen. Das Bußgeld geht dabei an die Person, die anonym im Netz auf einen möglichen Gesetzesverstoß hinweist. Dazu konnten Bürger:innen auf einer extra für diesen Zweck eingerichteten Website einen Fragebogen ausfüllen, der etwa Angaben zur Stadt oder beschuldigten Person erbittet. Die anonyme Anschuldigung kann auch mit Fotos oder Videos ergänzt werden. Der Whistleblower erhält nach erfolgreicher Prüfung die 10.000 Dollar der Angeklagte:n als Prämie.
Der Akteur, der hinter dieser Website steckt, ist die Anti-Abtreibungsorganisation „Texas Right to Life“. Allerdings konnte die Organisation wohl wenig mit den eingegangenen Meldungen anfangen, da Netzaktivist:innen die Website schon früh unterwandert hatten.
Kampfansage mit Shrek-Pornos und Shortcuts
Nutzer:innen haben auf verschiedenen Social-Media-Plattformen dazu aufgefordert, gegen das Anti-Abtreibungsgesetz aktiv zu werden. Ihr Ziel war es, die Website der Gruppe „Texas Right to Life“ mit Falschmeldungen zu überhäufen – und sie im besten Fall funktionsunfähig zu machen. Eine der Netzaktivist:innen ist die TikTok-Nutzerin @travelingnurse. Sie habe 742 falsche Meldungen in der Website eingetragen, die den republikanischen Gouverneur von Texas, Greg Abbott, beschuldigen, illegal abgetrieben zu haben. Viele weitere machten es ihr gleich und verfassten ironische Anschuldigungen oder luden Shrek-Pornos auf der Seite hoch.
Der TikTok-Nutzer Sean Black hat den Vorgang, solche falschen Meldungen abzuschicken, professionalisiert und damit vereinfacht: Er schrieb dafür eine Software. Sein Programm füllt das Online-Formular mit zufälligen, aber realistischen Angaben automatisch aus. So können innerhalb von kurzer Zeit sehr viele Falschmeldungen verschickt werden. Sean Black veröffentlichte wenig später einen Shortcut für das mobile Betriebssystem iOS, der dieselbe Aktion ausführt. Pro-Choice-Aktivist:innen müssen dann nur noch den Link des Shortcuts auf der Website einfügen. Der TikTok-Nutzer sagte gegenüber Motherboard:
Für mich ist die Taktik der McCarthy-Ära inakzeptabel, Nachbarn wegen eines Gesetzes, das meiner Meinung nach gegen Roe vs Wade verstößt, gegeneinander aufzuhetzen. Es gibt Menschen auf TikTok, die ihre Plattform nutzen, um aufzuklären und ihren Teil beizutragen. Ich glaube, dass ich meinen Teil dazu beitrage.
Black bezieht sich dabei auf die mehr als dreißig Jahre zurückliegende höchstrichterliche Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die als Roe vs Wade bekannt ist. Eine Schwangere darf demnach die Schwangerschaft bis zu dem Zeitpunkt beenden, an dem der Fötus als lebensfähig gilt. Heute liegt dieser Zeitpunkt etwa zwischen der 24. und 26. Schwangerschaftswoche.
Absturz und Umzug
Der Shortcut ist ein Erfolg und wurde tausendfach geklickt. Durch die Vielzahl an Blödsinn und falschen Hinweisen, die auf der Website eintreffen, wird es schwierig, die ernstgemeinten Meldungen herauszufiltern. Der Anbieter der Seite, die Gruppe „Texas Right to Life“, schränkt daraufhin den Zugriff auf die Seite ein. Nun verwehrt die Website Menschen den Zutritt, die sich außerhalb von Texas aufhalten, dessen Standort nicht identifizierbar ist oder die durch Spam-Aktionen aufgefallen sind. Zudem muss man zunächst ein CAPTCHA ausfüllen, also einen Test, um zwischen Mensch und Maschine zu unterscheiden.
Doch die Aktivist:innen haben es laut einem Bericht von Vice nicht nur geschafft, die Seite erfolgreich zu unterwandern, sondern sie auch kurzzeitig zum Absturz zu bringen. Das zeigt ein Screenshot der Wayback Machine vom 28. August 2021. Dann machte selbst der US-Internet-Provider GoDaddy der Anti-Abtreibungsorganisation einen Strich durch die Rechnung. Der Internet-Provider berichtete The Verge, die Website verstoße gegen die Nutzungsbedingungen von GoDaddy, weswegen der Gruppe 24 Stunden für einen Umzug zu einem anderen Provider gegeben wurde.
Alte und neue Siege des Abtreibungsrechts
Die Organisation Planned Parenthood, die auch Abtreibungskliniken betreibt, konnte nun vor Gericht einen ersten Etappensieg gegen das Anti-Abtreibungsgesetz erringen. Das Gericht in Texas hatte eine einstweilige Verfügung erlassen, die es Texas Right to Life und anderen Akteur:innen verbietet, gegen mögliche Vergehen gegen des neue Gesetz zu klagen. Das heißt, die Abtreibungsgegner:innen können die Arbeit von Abtreibungskliniken vorerst nicht vor Gericht kriminalisieren.
Präsident Biden bezeichnet das neue texanische Abtreibungsgesetz in seinem Statement als „beispiellosen Angriff auf die verfassungsrechtlichen Rechte der Frau nach Roe v. Wade“. Im Herbst soll der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten erneut über ein Grundsatzurteil zu Schwangerschaftsabbrüchen beraten. Der Gerichtshof ist wegen der ernannten Kandidaten von Ex-Präsident Donald Trump mehrheitlich konservativ besetzt. Damit läuft das Urteil Roe vs Wade in Gefahr, aufgehoben zu werden.
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