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Abmahnungen wegen Filesharing: Gute Absichten können Menschen finanziell ruinieren

Eine kleine Kneipe in einer Holzhütte an einem Hafen. Die Hütte ist mit Brettern vernagelt. Auf einem steht Free WiFi.

Wer ein freies Funknetz betreibt, weiß in der Regel nicht, welche Personen sich bei ihm einwählen. Oft will er oder sie es auch gar nicht wissen, denn Freifunkerinnen und Freifunker wollen vor allem WLAN kostenfrei für alle bereitstellen. Davon abgesehen dürfen sie Nutzerdaten nur in besonderen Fällen speichern. Dennoch gab es in den vergangenen Jahren häufig Urteile, nach denen Freifunker eine Mitverantwortung für das Verhalten der Nutzer in ihrem Netzwerk haben sollen. Das kann gravierende Folgen haben. Solche Gerichtsverfahren belasten Menschen nicht nur finanziell, sie können auch Beziehungen und Freundschaften zerstören.

Seit ein paar Jahren werden besonders in Berlin strenge Urteile gefällt, findet die Anwältin Beata Hubrig. „Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar. Freifunker haften nicht für die Nutzer ihrer Netzwerke.“ Hubrig ist auf Datenschutz-, Urheber- und Internetrecht spezialisiert und vertritt seit vielen Jahren Freifunker vor Gericht. Am Freitag, den 23. Juli, musste sie wieder einmal erleben, wie ihrem Mandanten eine Strafe von bis zu 250.000 Euro angedroht wurde, wenn sich noch einmal jemand über sein freies WLAN illegale Inhalte anschaut oder herunterlädt.

Berliner Wohnprojekt von Freifunk-Verfahren betroffen

Martin Kernbach hatte den Freifunk-Knoten installiert, der über den Internetanschluss des Angeklagten gespeist wurde. Beide leben in einem Wohnprojekt in Berlin, alle Bewohner teilen sich einen Internetzugang. „Aber seit Beginn des Gerichtsverfahrens beschuldigen sich viele Bewohnerinnen und Bewohner gegenseitig“, sagt Kernbach. Bisher habe niemand eine Urheberrechtsverletzung zugegeben.

Der Vorfall habe innerhalb der Gemeinschaft zu vielen Verwerfungen geführt. „Der Anschlussinhaber hat sich sehr zurückgezogen und hat Angst, dass er nach einer weiteren Abmahnung eine Viertelmillion Euro zahlen muss.“ Eine Summe, die ihn finanziell ruinieren würde. Inzwischen wird der Freifunk-Knoten über Kernbachs Anschluss gespeist.

Wegen der drastischen Folgen, die Abmahnungen haben können, sieht Kernbach den Internetanschluss für Privatpersonen gefährdet. Denn laut einiger Gerichtsurteile haften sie faktisch, wenn sie nicht wissen oder nicht herausgeben wollen, wer illegale Inhalte über ihr Netzwerk benutzt hat. Obwohl Kernbach viel über Netzwerksicherheit weiß, sieht auch er sich nicht in der Lage, seinen Internetanschluss so zu schützen, dass er fremde, unerwünschte Zugriffe ausschließen kann.

Das Telemediengesetz schützt Freifunker – eigentlich

Dass Freifunker für ihre Nutzer haften, wollte der Gesetzgeber eigentlich vermeiden: Im Frühjahr 2017 hatte die Große Koalition auf Bundesebene eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) beschlossen. Demnach sind Anschlussinhaber für rechtswidriges Verhalten der WLAN-Nutzer nicht verantwortlich, sofern sie nicht involviert sind. Das TMG schließt auch Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüche gegen Freifunker aus.

Doch in Hubrigs aktuellem Fall wurde der Freifunker schon in zwei Instanzen dazu verurteilt, dem Gericht die Nutzer seines offenen WLANs zu nennen, um sich selbst zu entlasten. Über das Netzwerk wurde im Jahr 2016 angeblich für zwanzig Sekunden verbotenerweise ein Film zum Download angeboten.

Freifunker soll WLAN-Nutzer nennen

Auch im Verfahren vor dem Landgericht Berlin am 23. Juli, in dem das Strafmaß festgestellt werden soll, berief sich der Richter auf die sogenannte sekundäre Darlegungslast des Verklagten. Sie ist nicht explizit gesetzlich geregelt, sondern wird aus dem Paragraphen 138 der Zivilprozessordnung abgeleitet. Demnach hielten es alle drei Richter für zumutbar, dass der Berliner Freifunker nachforscht, wer den Film über sein Netzwerk angeboten haben könnte. Rechtlich gesehen muss er seine Unschuld nicht beweisen – aber genau dazu werde er gedrängt, sagt Hubrig.

Im Gerichtssaal trat Hubrig energisch auf: Sie wies den Richter mehrfach darauf hin, dass ihr Mandant, der nicht anwesend war, nicht für Urheberrechtsverletzungen anderer haftet. Der Richter beteuerte aber, dass es in dem Verfahren nur um die Höhe der Strafe und der Unterlassungserklärung geht und er das vorherige rechtskräftige Urteil des Kammergerichts nicht einfach ändern kann.

Hubrig blieb nur noch, auf eine möglicherweise fehlerhafte Beweisführung im vorherigen Verfahren am Kammergericht hinzuweisen. Daraufhin sagte der Richter zu, sich das Protokoll noch einmal anzuschauen. Einen Vergleich mit dem Anwalt des Rechteverwerters, der für die wegen ihrer massenhaften Abmahnungen berüchtigten Kanzlei Frommer Legal arbeitet, lehnte Hubrig ab.

Beweisführung des Gerichts möglicherweise mangelhaft

Nach der Verhandlung war sie trotzdem einigermaßen zufrieden. „Denn wenn der Richter die Beweisführung auch mangelhaft findet, müsste er die Klage abweisen.“ Hubrig findet die hohen Abmahnkosten und Strafandrohungen in Unterlassungserklärungen für Privatpersonen ungerecht. Sie seien eigentlich für Unternehmen untereinander entwickelt und in das Urheberrechtsgesetz übernommen worden. „Diese abschreckende Wirkung ist gegenüber Privatpersonen nicht notwendig und verschleiert, dass Ordnungsgelder typischerweise im unteren oder mittleren vierstelligen Bereich verhängt werden.“

„Wir sind hier nicht im Wettbewerbsrecht“, empörte sich Hubrig im Gerichtssaal. Sie argumentierte auch, dass ein Rechteverwerter in Unterlassungserklärungen nicht pauschal mit einer Strafe von 250.000 Euro drohen dürfe. Das sei im Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegt. Der Richter musste zugeben, dass er den entsprechenden Paragraphen nicht kannte.

Was Hubrig in der Verhandlung nicht sagen konnte: Sind Freifunkerinnen und Freifunker für das Verhalten ihrer Nutzer mitverantwortlich, müssten sie umfangreiche Datensammlungen über sie anlegen. Sonst könnten sie für Urheberrechtsverletzungen Dritter in Haftung genommen werden. „Dem steht aber die DSGVO entgegen.“

Es gibt also einen Konflikt zwischen mehreren Gesetzen, der so schnell nicht zu lösen ist – zumindest, wenn Richter weiterhin auf Nachforschungen über Nutzer bestehen. Auf Beata Hubrig dürften in Zukunft noch viele ähnliche Gerichtsverfahren zukommen.


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