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Entscheidung gekippt: Oberlandesgericht erklärt Razzia bei Radio-Redakteur für rechtens

Das Gezerre um die Hausdurchsuchungen gegen den Freiburger Sender Radio Dreyeckland geht weiter. Jetzt hat das OLG Stuttgart eine Entscheidung des Landgerichts kassiert und sagt: Es war in Ordnung, dass Beamt*innen die Privatwohnung eines Redakteurs durchsucht haben.

Screenshot des Logos von Radio Dreyeckland; der Schriftzug Linksunten Indymedia; eine Statue von Justitia
Ein Link und die Folgen: Der Fall Radio Dreyeckland – Justitia: Pixabay; Screenshot: RDL.de; Montage: netzpolitik.org

Durfte die Polizei am 17. Januar 2023 die Wohnungen von zwei Angestellten bei Radio Dreyeckland (RDL) durchsuchen – und in die Redaktion eindringen? Diese Frage beschäftigt die Justiz in Baden-Württemberg seit Monaten. Noch im August hatte das Landgericht Karlsruhe entschieden: Die Razzien waren rechtswidrig, das heißt: Sie hätten nicht passieren dürfen. Nun gibt es eine neue Wendung, wie zuerst die Tagesschau berichtet hat: Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart findet, dass eine der drei Razzien doch rechtens war – und zwar die Razzia bei Radio-Redakteur Fabian Kienert.

Das hat der 2. Strafsenat des OLG bereits am 7. November entschieden, wie eine Pressesprecherin des Gerichts auf Anfrage von netzpolitik.org mitteilt. Anlass sei eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gewesen.

Bei der Tagesschau lief die Meldung unter der Rubrik „Regional“, dabei ist das Thema weit mehr als eine Lokalgeschichte. Der Fall Radio Dreyeckland handelt davon, wann der Staat in die Pressefreiheit eingreifen darf. Radio Dreyeckland sendet seit 1977, die meisten arbeiten dort ehrenamtlich. Der Sender gehört zur Szene freier Radios; das sind kleine, nicht-kommerzielle Sender, die sich basisdemokratisch verwalten. Auf Anfrage von netzpolitik.org schreibt RDL-Geschäftsführer Andreas Reimann über die OLG-Entscheidung: „Wir prüfen weitere rechtliche Schritte.“

Die Bedeutung der jüngsten OLG-Entscheidung lässt sich erst über die Vorgeschichte erschließen: Am 17. Januar hatte die Polizei Freiburg im Auftrag der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Räume von Radio Dreyeckland und zwei Privatwohnungen durchsucht. Einmal die Wohnung von Redakteur Kienert; einmal die Wohnung des Geschäftsführers Reimann. Dabei haben die Beamt*innen unter anderem Laptops und Smartphones beschlagnahmt.

Welle der Solidarität nach den Razzien

Anlass der Razzien war, dass der Radio-Sender in einem Online-Artikel einen Link auf das Archiv der Website linksunten.indymedia.org gesetzt hatte. Und diese Website ist ein Politikum. Sie war eine der wichtigsten Anlaufstellen für die linke und linksradikale Szene in Deutschland; 2017 ist der Betrieb durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten worden. Der Vorwurf gegen Redakteur Kienert lautet nun: Mit dem Online-Artikel und der Verlinkung auf Linksunten habe er eine verbotene Vereinigung unterstützt; und das wäre eine Straftat.

Einfach ausgedrückt geht es bei dem Fall um die Frage: Kann es sein, dass ein Journalist wegen eines Links vor Gericht muss – oder gar in den Knast? Schon direkt nach den Razzien gab es eine Welle der Solidarität mit dem Radiosender. Unter anderem die Grundrechte-Organisationen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Reporter Ohne Grenzen verurteilten die Hausdurchsuchungen. Joschka Selinger von der GFF sagte netzpolitik.org: „Die Staatsanwaltschaft verkennt die Bedeutung der Pressefreiheit, wenn Sie den Anfangsverdacht auf das Setzen eines Links in einem redaktionellen Beitrag stützt, der erkennbar der Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis dient.“ In Freiburg gab es eine Solidaritäts-Kundgebung mit rund 250 Menschen, wie der SWR berichtete.

Es folgte ein juristisches Hin und Her: Geschäftsführer Reimann galt zunächst als mitbeschuldigt; aber dieser Vorwurf wurde fallengelassen. Im Mai entschied das Landgericht Karlsruhe, dass Redakteur Kienert wegen des Vorwurfs nicht angeklagt werden soll. Doch das OLG Stuttgart kippte diese Entscheidung im Juni und sagte: Kienert soll doch vor Gericht. Es folgte eine weitere Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe im August: Demnach waren alle drei Hausdurchsuchungen rechtswidrig. Und wieder sagt das OLG Stuttgart: Nein.

Landgericht prangerte Einschüchterungseffekt an

In der nicht öffentlichen Begründung schrieb das Landgericht Karlsruhe im August unter anderem vom Einschüchterungseffekt, den die Hausdurchsuchungen mit sich bringen. Diese Einschüchterung bezieht sich nicht nur auf die unmittelbar Betroffenen, sondern auch andere Reaktionsmitglieder, die kritisch über staatliche Angelegenheiten berichten. Ebenso wie auf Informant*innen, die sich mit vertraulichen Infos an die Redaktion wenden. Das Landgericht kam unter anderem deshalb zum Schluss: Die Presse- und Rundfunkfreiheit sei bei den Razzien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das Oberlandesgericht sieht das nun teilweise anders. Laut OLG Stuttgart war die Razzia bei Redakteur Kienert entgegen der Einschätzung des Landgerichts doch rechtens. Zur Begründung schreibt eine Sprecherin auf Anfrage:

Die Durchsuchungsanordnung wäre nur dann per se rechtswidrig gewesen, wenn sie sich auf den Zweck gerichtet hätte, die Person eines Informanten zu ermitteln oder Straftaten von Informanten aufzuklären. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Vielmehr zielte die Durchsuchung vorliegend auf die Klärung der Urheberschaft des Presseartikels und den Veranlasser seiner Veröffentlichung.

Verhandlung wohl im Frühjahr 2024

Einfach ausgedrückt: Die Beamt*innen sollten laut OLG bei der Razzia unter anderem herausfinden, ob tatsächlich Redakteur Kienert den fraglichen Artikel mit der Verlinkung auf Linksunten Indymedia verfasst habe. Zur Einordnung: Dieser Artikel ist mit dem Kürzel „FK“ erschienen, das steht für Fabian Kienert. Und um zu bestätigen, dass tatsächlich Kienert hinter diesem Kürzel steckt, hatten die Beamt*innen also kein milderes Mittel gewählt, als die Wohnung des Journalisten zu durchsuchen.

Zu den anderen beiden Razzien – bei Geschäftsführer Reimann und in der Redaktion – hat das OLG laut Sprecherin keine weitere Entscheidung getroffen. Gegen diese Entscheidungen gebe es nach Strafprozessordnung kein weiteres Rechtsmittel, wie eine Sprecherin erklärt. Das heißt, hier gilt weiterhin die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe, und die lautet: Das war rechtswidrig.

Der Streit um die Hausdurchsuchungen geschieht derweil unabhängig vom Strafverfahren gegen Redakteur Kienert. Dazu soll er sich voraussichtlich im Frühjahr 2024 vor dem Landgericht Karlsruhe verantworten.


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