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Der Feind vor meinem Haus: Polizeiverbindungen in die rechte Szene verunsichern Jüdische Gemeinden

Immer wieder kommen rechtsextreme und antisemitische Aktivitäten von Polizist:innen ans Licht. Zum Beispiel der Fall eines Reichsbürgers in Uniform, der die Sicherheit jüdischer Einrichtungen gewährleisten soll. Das erschüttert das Vertrauen jüdischer Bürger:innen in die Strafverfolgungsbehörden.

Synagoge Düsseldorf, davor eine Polizistin, die von hinten abgebildet ist
In Deutschland müssen jüdische Gotteshäuser und Gemeinden von der Polizei geschützt werden (Symbolbild, Synagoge Düsseldorf) – Alle Rechte vorbehalten Imago / Michael Gstettenbauer

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Staatsgewalt: Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“, herausgegeben von Heike Kleffner und Matthias Meisner. Ruben Gerczikow ist Autor und Publizist, er recherchiert zu Antisemitismus im analogen und digitalen Raum. Veröffentlichung des Textes mit freundlicher Genehmigung des Autoren, der Herausgeber:innen und des Verlages. Alle Rechte vorbehalten: Ruben Gerczikow.


Berlin-Mitte, hier schlägt das politische Herz der deutschen Demokratie. Auf dem Weg durch den Bezirk fallen Waschbeton und Glasfassaden ins Auge, die Architektur der Berliner Republik an Gebäuden wie dem Bundeskanzleramt, dem Innenministerium, zahlreichen Liegenschaften des Bundestages rund um das Brandenburger Tor. Neben ihrer räumlichen Nähe eint diese Gebäude auch der Umstand, dass sie durch umfassende Sicherheitsmaßnahmen geschützt sind – etwa flächendeckende Videoüberwachung, Einlasskontrollen, mit Panzerglas verglaste Scheiben und rundum Überwachung durchbewaffnete Beamt:innen von Bundespolizei oder Landespolizei.

Doch politische oder auch diplomatische Vertretungen sind nicht die einzigen Gebäude in Berlin(-Mitte), die durch die Polizei tagtäglich geschützt werden. Für viele Polizist:innen bundesweit gehört es zum Alltag ebenso vor jüdischen Einrichtungen wie beispielsweise Synagogen, Gemeindezentren oder Schulen bewaffnete Präsenz zu zeigen. So sieht die Normalität für viele Kinder auf jüdischen Schulen in ganz Europa aus: Noch vor den eigenen Lehrkräften begrüßen sie die teilweise schwer bewaffneten Polizeibeamt:innen, die vor den Schultoren stehen.

„Als Kind und auch noch als Jugendliche habe ich die Polizei immer nur als Gefühl von Sicherheit wahrgenommen. Ich wusste schon von klein an dass die Polizei vor der Schule steht, um aufzupassen, dass uns nichts passiert […]. Sie hat mir auch in öffentlichen Räumen noch das Gefühl von Sicherheit gegeben, da ich es so seit meiner Kindheit erklärt bekommen habe“, sagt etwa Leah Luwisch, jüdische Jungpolitikerin und ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend aus Frankfurt am Main.

„Welches Gedankengut haben diese Beamt:innen?“

Buchcover, blauer Hintergrund, in weiß-gelber Fraktur-Schrift das Wort "Staatsgewalt"
Auszug aus dem Buch „Staatsgewalt“

In Anbetracht der blutigen Kontinuität antisemitischer Gewalt im postnazistischen Deutschland wird der Schutz von Jüdinnen:Juden vonseiten der Politik immer wieder hervorgehoben. Doch wird Deutschland seiner Verantwortung für den millionenfachen systematischen, industriellen Massenmord der Shoa und des Vernichtungskrieges überhaupt gerecht, indem es heute jüdische Einrichtungen angemessen schützt? So dokumentierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2022 insgesamt 2480 antisemitische Vorfälle in ganz Deutschland. Das Dunkelfeld dürfte weitaus größer sein.

Gewalt, ob physischer oder verbaler Natur, gegen Jüdinnen:Juden ist in Deutschland allgegenwärtig – jüdisches Leben ist auch 2023 immer noch fragil. Und deshalb sind Sicherheitsmaßnahmen um und in jüdischen Gebäuden absolut notwendig. „Trotzdem ist immer die Frage im Kopf, wer da jetzt gerade zum Schutz steht und welches Gedankengut diese Beamt:innen eigentlich haben“, beschreibt Leah Luwisch die ambivalenten Gefühle, die die Polizeipräsenz vor jüdischen Einrichtungen bei ihr auslöst.

Denn die Informationen über rechtsextreme Gruppen in Polizeidienststellen, die Beteiligung von Polizeiangehörigen an Netzwerken wie beispielsweise Nordkreuz und dass mutmaßlich rechtsextreme Polizisten wie Fred B. oder der niedersächsische Kriminalhauptkommissar Michael F. für die Sicherheit von Jüdischen Gemeinden verantwortlich waren, haben massiven Schaden hinterlassen.

Nicht wenige Jüdinnen:Juden sprechen von einem Vertrauensbruch durch diejenigen, die doch eigentlich das Vertrauen in den deutschen Staat und seine Verpflichtung gegenüber jüdischem Leben stärken sollen.

Ein Reichsbürger als Sicherheitsbeauftragter für jüdische Einrichtungen

Unter den 25 Personen, die am 7. Dezember 2022 bei den groß angelegten Ermittlungen gegen die Reichsbürgergruppe Patriotische Union um Heinrich XIII. Prinz Reuß festgenommen wurden, befand sich auch Kriminalhauptkommissar Michael F. aus dem Landkreis Hildesheim. Er wurde nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 vom „niedersächsischen Innenministerium damit beauftragt, ein Gutachten anzufertigen bezüglich baulicher und technischer Maßnahmen, um die Sicherheit der Jüdischen Gemeinde zu erhöhen“, sagt Rebecca Seidler, Vorsitzende des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Niedersachsen und Geschäftsführerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover.

Die jüdische Hannoveranerin erinnert sich gut an ihr erstes Treffen mit dem Kriminalhauptkommissar: „Beim ersten Termin verweigerte er zunächst die Begutachtung des Gebäudes, da er sich hierfür nicht zuständig sah. Er verglich die Jüdische Gemeinde mit einem Baumarkt und gab an, wenn der dortige Baumarktleiter eine Sicherheitsvorkehrung wünsche, müsse dieser die ja auch schließlich selbst vornehmen und nicht der Staat.“

Nachdem F. den Termin beendet hatte, ohne das Gemeindezentrum besichtigt zu haben, beschwerte sich Rebecca Seidler bei der zuständigen Polizeibehörde Hannover. Daraufhin wurde F. erneut geschickt. Zum Unverständnis von Seidler, denn „das Landeskriminalamt verfügt ohnehin über speziell geschulte Polizisten für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen“. Dennoch klärte sie beim zweiten Zusammentreffen F. über alle Sicherheitsmängel in ihrer Gemeinde auf, damit der Beamte das Gutachten zutreffend schreiben konnte.

Hitlergruß auf Querdenken-Demo

Bereits vor seiner Festnahme im Dezember 2022 machte der Kriminalhauptkommissar in einem gänzlich anderen Kontext öffentlich auf sich aufmerksam. Im Zuge der Coronapandemie nahm der Beamte an mehreren Demonstrationen der „Querdenken“-Bewegung teil, unterhielt einen eigenen Telegramkanal und ergriff auf einschlägigen Kundgebungen auch selbst das Wort. In seinen Reden und Nachrichten fabulierte er vom Umsturz, verbreitete Verschwörungserzählungen und stellte unter anderem Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus und den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie her. Außerdem kandidierte er bei der Bundestagswahl 2021 in Niedersachsen als Spitzenkandidat für die verschwörungsideologische Partei Die Basis.

Bei einer „Querdenken“-Demonstration am 31. Oktober 2020 in Dresden zeigte F. den Hitlergruß und wurde deshalb im Dezember 2021 in erster Instanz vom Amtsgericht Dresden zu einer Geldstrafe in Höhe von 5000 Euro verurteilt. Rebecca Seidler erfuhr von den rechten Umtrieben ihres Ansprechpartners nicht von der Polizei selbst, sondern über Umwege. „Ehrlich gesagt hat es mich nicht überrascht, denn seine Radikalisierung war in seinen Reden und Auftritten deutlich erkennbar für mich“, sagt Rebecca Seidler.

Daraufhin habe sie umgehend das Gespräch mit dem Polizeipräsidenten gesucht, der ihre Besorgnisse eher kleingeredet habe: „Da schließlich Herr F. suspendiert wurde, bestünde kein Grund zur Sorge“, erinnert sie sich an die Kernbotschaft des Gesprächs. Aus den Medien erfuhr Rebecca Seidler, dass das Polizeipräsidium Hannover ein Disziplinarverfahren gegen Michael F. in Gang gesetzt hatte mit dem Ziel seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis.

Im Gegensatz zur Polizei hätten niedersächsische Landespolitiker:innen mehr Verständnis für die Sorgen der Liberalen Jüdischen Gemeinde und das entstandene Sicherheitsrisiko gezeigt, so Rebecca Seidler. Vonseiten der Behörden wurde eingeräumt, „dass da ein zweifelhafter Polizist über ein sensibles Detailwissen verfügte“. Dennoch seien die Finanzmittel für die dringend benötigten baulichen Sicherheitsmaßnahmen nicht zügig genug bereitgestellt geworden.

Der „militärische Arm“ der Patriotischen Union

Nach der Festnahme von Michael F. am 7. Dezember 2022 sei es „zu Irritationen bis hin auch zu ernsthaften Sorgen innerhalb der jüdischen Community“ gekommen, betont Rebecca Seidler. Wichtig sei jetzt, dass es inzwischen eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei gebe: „Der offene Austausch schafft auch Verständnis für unsere Sicherheitsbedenken“, resümiert die Landesvorsitzende die aktuelleren Gespräche mit Polizeiführung und Politiker:innen. So könnten sich Mitglieder Jüdischer Gemeinden sicherer fühlen.

Zu denjenigen Tatverdächtigen der Patriotischen Union, deren Untersuchungshaft bei der Prüfung durch den Haftrichter am Bundesgerichtshof im Juli 2023 weiter aufrechterhalten blieb, gehörte auch Michael F. Der Polizist soll nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Teil des „militärischen Armes“ der Patriotischen Union gewesen sein, die unter der Leitung des ehemaligen Bundeswehroffiziers Rüdiger von P. gestanden habe.

Im Zuge der Ermittlungen stellten Polizeibeamte insgesamt 362 Schusswaffen und 148.761 Munitionsteile sowie 347 Hieb- und Stichwaffen und 17 Sprengmittel sicher. „Nach der maßgeblichen Verdachtslage handelte es sich bei der Gruppierung um die Beschuldigten hochwahrscheinlich um eine terroristische Vereinigung“, heißt es im Beschluss des Haftrichters am Bundesgerichtshof.

Rebecca Seidler sagt, F. habe über seinen Anwalt aus der Untersuchungshaft heraus den Wunsch eines Gespräches mit ihr geäußert. Sie habe abgelehnt: „Wenn er Redebedarf hat, möge er sich an die Ermittlungsbehörden wenden, nicht an mich.“

Vertrauen der Betroffenen beschädigt

Rebecca Seidler erwähnt, dass ein Vertrauensverlust in Gänze nicht entstanden sei. Das liege auch an der jahrelangen und guten Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Polizei. „Aber es gibt natürlich Mitglieder der jüdischen Community, die zuweilen Unsicherheiten und auch Skepsis haben bezüglich der Polizei“, stellt sie weiter fest.

Welche Folgen ein mangelndes Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden vonseiten der jüdischen Bevölkerung haben kann, zeigt erneut ein Blick nach Berlin. „Etwa 80 Prozent der Betroffenen zeigen selbst schwerwiegende antisemitische Vorfälle gar nicht erst an“, sagt die ehemalige Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Claudia Vanoni. Die Gründe, die Ermittlungsbehörden nicht einzuschalten, sind vielfältig: Neben dem bürokratischen Aufwand, den geringen juristischen Erfolgsaussichten und Sicherheitsbedenken sieht RIAS Berlin auch den Umgang von Polizist:innen als einen Faktor. Immer wieder hätten Berliner Beamt:innen beispielsweise bei der Aufnahme von Strafanzeigen die antisemitische Motivation von Vorfällen in Zweifel gezogen. Damit wird das Vertrauen der Betroffenen beschädigt.

Angesichts des Ausmaßes und der lückenhaften Strafverfolgung von antisemitischer Gewalt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoa ist es kaum verwunderlich, dass in den Jüdischen Gemeinden hierzulande wenig Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und Justiz besteht. Hier ist ein grundlegender Kulturwandel in den Strafverfolgungsbehörden notwendig: Von der Aufnahme von Strafanzeigen bis zur Gerichtsverhandlung muss den Opfern antisemitischer Straftaten nicht nur das Gefühl gegeben werden, dass man ihnen glaubt, wenn sie Bedrohungen und Angriffe als antisemitisch erfahren. Idealerweise müssen Gerichte Antisemitismus als Tatmotiv in Urteilsbegründungen benennen und nach Paragraf 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend bewerten.

Trotz alledem gilt es festzuhalten, dass die strafrechtliche Verfolgung von Antisemitismus nur dann ein Mittel sein kann, wenn es zu strafrechtlich relevanten Handlungen kommt – da antisemitisches Denken, Diskurse und Handlungen per se nicht zwangsläufig strafbar sind. Umso mehr braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die Antisemitismus jedweder Richtung benennt und verurteilt.


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