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Internes Protokoll: EU-Staaten wollen Chatkontrolle in zwei Wochen beschließen

Die Justiz- und Innenminister der EU-Staaten wollen Ende September über die Chatkontrolle abstimmen. Manche Länder wie Deutschland wollen mehr Zeit zum Verhandeln, wurden aber überstimmt. Diese kritischen Staaten können das Vorhaben verhindern. Wir veröffentlichen ein eingestuftes Verhandlungsprotokoll.

Nancy Faeser, Fernando Grande-Marlaska Gómez und andere Menschen.
Die Innenminister der EU-Staaten bei ihrem letzten Gipfel. (Archivbild) CC-BY-NC-ND 2.0 Spanische Ratspräsidentschaft

Die EU-Staaten wollen noch in diesem Monat ihre Position zur Chatkontrolle beschließen. Über 80 NGOs kritisieren das geplante Gesetz als beispiellos: „Er soll Internetdienste verpflichten, die private digitale Kommunikation aller Menschen im Auftrag von Regierungen zu durchleuchten.“

Seit anderthalb Jahren verhandeln EU-Parlament und EU-Staaten über den Gesetzentwurf der Kommission. Damit das Gesetz noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden kann, wollen Parlament und Rat ihre Position in den nächsten Wochen beschließen. Dann verhandeln die drei Institutionen im Trilog die finale Version.

Die EU-Staaten verhandelten letzte Woche erneut in der Ratsarbeitsgruppe Strafverfolgung. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Sitzung im Volltext.

Wesentliche Änderungen erforderlich

Die spanische Ratspräsidentschaft präsentierte einen straffen Zeitplan. Am morgigen Donnerstag soll die Arbeitsgruppe das Gesetz das letzte Mal verhandeln, danach widmet sie sich wieder anderen Themen. Nächste Woche sollen die Ständigen Vertreter der EU-Staaten das Gesetz besprechen. Am 28. September wollen die Justiz- und Innenminister ihre finale Position verabschieden.

Dabei ist das zentrale Problem des Gesetzes weiterhin ungelöst. Das Gesetz soll Anbieter von Internetdiensten verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer:innen zu durchsuchen und strafbare Kinderpornografie sowie Grooming an ein EU-Zentrum weiterzuleiten. Private Kommunikation massenhaft und anlasslos zu durchsuchen, ist jedoch grundrechtswidrig und damit illegal. Der Juristische Dienst der EU-Staaten erwartet deshalb, dass Gerichte das Gesetz wieder kippen.

Eine Handvoll Staaten will kein gesetzwidriges Gesetz beschließen und die juristischen Probleme lösen. Auch Deutschland kann dem Gesetz nicht zustimmen. Die Bundesregierung lehnt im Koalitionsvertrag „allgemeine Überwachungspflichten“ und „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation“ ab. Deutschland fordert, einige Vorschläge zu streichen, darunter Client-Side-Scanning und Scannen verschlüsselter Kommunikation.

Hinauszögern nicht sachgerecht

Die Bundesregierung hat ihre Verhandler in einer Weisung an diese Forderungen erinnert. „Leider erfüllt auch der aktuelle Kompromisstext nicht die von uns angeregten Änderungen.“ Deutschland wird „dem aktuellen Kompromisstext nicht zustimmen können“. Die Bundesregierung bittet deshalb, die geplante Abstimmung am 28. September zu verschieben. Polen, Niederlande und Österreich unterstützen den deutschen Antrag auf Verschiebung.

13 Staaten und die Kommission lehnen eine Verschiebung ab. Irland sagt, man kann „es niemals allen zu 100 Prozent recht machen“. Die spanische Ratspräsidentschaft meint, „man habe bereits lange diskutiert und gute Fortschritte erzielt“. Die Justiz- und Innenminister sollen das Gesetz am 28. September beschließen. „Ein Hinauszögern der Abstimmung sei nicht sachgerecht.“

Auf Verdachtsfälle beschränken

Polen kritisiert erneut, dass die Kommunikation von Unverdächtigen anlasslos kontrolliert werden soll, das ist unverhältnismäßig. Die polnische Delegation fordert, die Chatkontrolle auf Personen und Gruppen zu beschränken, die einer Straftat verdächtigt werden. Die anderen Verhandler lehnen das ab. Die Chatkontrolle hat mit Strafverfolgung nichts zu tun, Rechtsgrundlage für die Verordnung ist der Binnenmarkt.

Polen, Niederlande und Estland fordern weiterhin, „allgemeine Überwachungspflichten“ und „Maßnahmen zur Umgehung von Verschlüsselung“ im Gesetzestext auszuschließen. Diese Punkte diskutieren die Staaten seit vielen Sitzungen. Die ehemalige schwedische Ratspräsidentschaft hatte die Formulierungen aufgenommen, die spanische Ratspräsidentschaft hat sie wieder gestrichen.

Österreich und Slowenien haben weiterhin „Diskussionsbedarf“ zum Element der Chatkontrolle. In Frankreich diskutiert die Regierung „auf höchster politischer Ebene“ über die Chatkontrolle, die Diskussionen sollen „alsbald abgeschlossen“ werden. Schweden und Finnland prüfen ebenfalls noch.

Umstrittene Teile auslösen

Die Justiz- und Innenminister wollen ihre Position zum Gesetz in zwei Wochen beschließen. Dabei soll ein Detail außen vor bleiben: Der Sitz des vorgesehenen EU-Zentrums. Viele Staaten wollen neue EU-Behörden in ihrem Land ansiedeln, so auch hier. Weil sie in diesem Punkt noch nicht einig sind, wollen die Staaten über den Ort des Zentrums „gesondert“ entscheiden.

Nach Informationen von netzpolitik.org existiert ein weiterer Vorschlag, kontroverse Teile des Gesetzes auszuklammern. Demnach könnte ein erster Teil des Gesetzes unstrittige Punkte wie das EU-Zentrum, Meldepflichten sowie Risikobewertungs- und Risikominderungspflichten regeln. Der umstrittene Teil der verpflichtenden Chatkontrolle könnte in einen zweiten Teil ausgelagert werden. Diese Idee haben einige Staaten wie Estland über den Sommer entwickelt.

Auch die Bundesregierung diskutiert diesen Vorschlag. Laut unseren Informationen ist das Justizministerium von FDP-Minister Marco Buschmann für eine solche Zweiteilung. Das Innenministerium von SPD-Ministerin Nancy Faeser lehnt das jedoch ab. Deshalb bringt Deutschland den Vorschlag auch nicht auf EU-Ebene ein.

Mit Sperrminorität verhindern

Damit steuern die Justiz- und Innenminister auf eine Kampfabstimmung auf ihrem Gipfel am 28. September zu. Die spanische Ratspräsidentschaft und viele EU-Staaten wollen die Chatkontrolle endlich beschließen.

Ihr Plan kann jedoch scheitern. Vier Staaten mit zusammen mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung können eine Sperrminorität bilden und den Vorschlag verhindern. Das ist durchaus realistisch. Dazu müssen Deutschland und andere Staaten sich enthalten oder dagegen stimmen, zum Beispiel Polen, Niederlande, Schweden und Österreich. All diese Staaten äußern sich kritisch zur Chatkontrolle.

Die Position Deutschlands sollte klar sein. Das Gesetz verstößt sowohl gegen den Koalitionsvertrag als auch die Position der Bundesregierung. Wenn die Ampel-Regierung diese Dokumente ernst nimmt, muss sie im Rat gegen den Vorschlag stimmen – statt sich nur zu enthalten.


Hier das Dokument in Volltext:


  • Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
  • Datum: 11.09.2023
  • Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
  • An: Auswärtiges Amt
  • Kopie: BMI, BMJ, BMWK, BMDV, BMFSFJ, BKAmt, BMF, BMBF
  • Betreff: Sitzung der RAG Strafverfolgung am 5. September 2023
  • Hier: Entwurf der CSAVO
  • Zweck: Zur Unterrichtung
  • Geschäftszeichen: 350.80/4
  • Kompromissvorschläge: ST 12066 2023 INIT

Sitzung der RAG Strafverfolgung am 5. September 2023

I. Zusammenfassung und Wertung

Behandelt wurde ausschließlich der Entwurf der CSAVO.

Vorsitz kündigte an, dass eine partielle Allgemeine Ausrichtung beim JI-Rat am 28.09.2023 beschlossen werden solle. Es handele sich nur um eine partielle Allgemeine Ausrichtung, da die Frage des Sitzes des vorgesehenen EU-Zentrums zunächst ausgeklammert werde. Die AStV-Befassung sei für den 20.09.2023 vorgesehen.

Ich forderte weisungsgemäß, die Abstimmung im JI-Rat zu verschieben, wurde dabei jedoch nur von AUT, NLD und POL unterstützt. Vorsitz teilte mit, dass der von ihm angekündigte Zeitplan bestehen bleibe.

Vorsitz wies darauf hin, dass die CSAVO in der RAGS-Sitzung am 20.09.2023 nicht behandelt werde. Diese werde der Erörterung allgemeiner Polizeithemen dienen.

II. Im Einzelnen

1) Zeitplan

Vorsitz erläuterte zunächst den vorgesehenen weiteren Zeitplan in den Ratsgremien. Eine partielle Allgemeine Ausrichtung solle beim JI-Rat am 28.09.2023 beschlossen werden. Dabei handele es sich nur um eine partielle Allgemeine Ausrichtung, da die Sitzfrage des vorgesehenen EU-Zentrums zunächst ausgeklammert bleibe. Hierüber werde noch (wie bei AMLA) gesondert zu entscheiden sein. Die AStV-Befassung sei für den 20.09.2023 geplant. Vorher werde es am 14.09.2023 noch eine weitere RAGS-Sitzung geben.

Ich plädierte weisungsgemäß für eine Verschiebung der Beschlussfassung über die partielle Allgemeine Ausrichtung auf einen späteren JI-Rat. Aus DEU-Sicht sei das Dossier noch nicht „abstimmungsreif“. AUT, NLD und POL unterstützten dieses Petitum. Demgegenüber sprachen sich IRL, HUN, LVA, ITA, LTU, ROU, FRA, CYP, BGR, DNK, HRV, MLT, SVK und KOM für den vom Vorsitz vorgeschlagenen Zeitplan aus. IRL machte geltend, dass man „es niemals allen zu 100 % recht machen könne“. Dem schlossen sich zahlreiche MS an. ROU betonte, dass endlich mehr für den Kinderschutz getan werden müsse.

Vorsitz wies darauf hin, dass es Aufgabe der jeweiligen EU-Präsidentschaft sei, (qualifizierte) Mehrheiten für Rechtssetzungsvorschläge zu suchen und zu finden. Er könne auch die Vorgaben aus der AStV-Sitzung am 31.05.2023 nicht einfach ignorieren, nur weil einzelne MS anderer Auffassung seien. Die CSAVO sei wichtig, man habe bereits lange diskutiert und gute Fortschritte erzielt. Aus Sicht des Vorsitz werde das Dossier beim JI-Rat am 28.09.2023 entscheidungsreif sein. Ein Hinauszögern der Abstimmung sei nicht sachgerecht.

Vorsitz wies darauf hin, dass der LIBE-Ausschuss und das EP-Plenum voraussichtlich im Oktober 2023 abstimmen würden.

2) Allgemeine Anmerkungen

Anschließend gab Vorsitz Gelegenheit zu allgemeinen Anmerkungen.

Ich trug die DEU-Position gemäß der ressortabgestimmten Weisung vor.

POL forderte, Aufdeckungsanordnungen auf „Verdachtsfälle (Einzelpersonen und Gruppen)“, also auf den Bereich Strafverfolgung, zu beschränken. Auf Nachfrage konnte POL aber erneut nicht erläutern, wie dies konkret ausgestaltet sein sollte und wie dies mit Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage für die CSAVO vereinbar wäre.

FRA wies darauf hin, dass es zu den Aufdeckungsanordnungen in Paris noch Gespräche auf höchster politischer Ebene gebe, äußerte sich aber zuversichtlich, dass diese alsbald abgeschlossen würden.

AUT und SVN sahen noch Diskussionsbedarf zu den Aufdeckungsanordnungen.

SVN, SWE und FIN mit PVen, die aber nicht näher spezifiziert wurden.

EST plädierte dafür, Formulierungen zu Verschlüsselung nicht nur in die EGe, sondern auch in den verfügenden Teil der VO aufzunehmen.

3) Einzelne Artikel

Ich trug die DEU-Position gemäß der ressortabgestimmten Weisung vor. Dargestellt sind daher nachfolgend nur die wesentlichen Positionen und Beiträge der übrigen Delegationen.

a) Kapitel II, Abschnitt 3 (Meldepflichten)

FRA machte geltend, dass die Änderungen in Art. 12 und 13 in die richtige Richtung gingen. Dank für neuen Text in Art. 14a und 18a. Frage, wieso es in Art. 18b eine neue Bestimmung zur URL-Liste gebe.

AUT sah die Wiederherstellungsplicht in Art. 15 kritisch und hatte im Übrigen grundsätzliche Bedenken aus datenschutzrechtlicher Sicht.

NLD plädierte dafür, Eingriffe in TelKo nur mit Richter/in-Vorbehalt zuzulassen.

HUN verwies auf seine schriftlich eingereichten Anmerkungen und unterstützte Art. 18aa und 18b.

DNK sah im Hinblick auf Art. 14a und 18aa keine innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Probleme mehr.

ROU und POL begrüßten die Änderungen grundsätzlich. POL mit Forderung, in Art. 16 Abs. 1 einen Hinweis auf relevante nationale Vorschriften aufzunehmen.

Vorsitz schlussfolgerte, dass der Text weit herangereift sei.

b) Kapitel III (Überwachung, Durchsetzung und Zusammenarbeit)

FRA sah noch Probleme bei Art. 27 und kündigte einen eigenen Textvorschlag an.

SWE verwies auf seine schriftlich eingereichten Bemerkungen.

HUN kündigte schriftliche Vorschläge zu Art. 25 und 27 an.

EST plädierte für Änderungen in Art. 35 und kündigte schriftliche Vorschläge an.

DNK forderte, dass die Datenbank in Art. 36 „sicher“ sein müsse. In Abs. 1a solle man die Formulierung „subject to adequate oversight by judicial authorities“ streichen.

Vorsitz schlussfolgerte, dass Kapitel 3 weit herangereift und man auf der „Schlussgeraden“ sei.

c) Kapitel IV (EU-Zentrum)

Vorsitz wies darauf hin, dass sich Art. 42 nach dem Verfahren bei AMLA richten werde.

FRA plädierte dafür, in Art. 46 die Formulierung „facilitate“ statt „support“ zu benutzen. Ankündigung eines neuen Formulierungsvorschlags zu Art. 66.

NLD und BEL forderten, dass in Art. 43 der Aspekt der Prävention stärker betont werden müsse.

NLD war nicht einverstanden mit den Textvorschlägen in Art. 44 und 53.

HUN verwies auf seine schriftliche Stellungnahme zu Art. 64 Abs. 6.

Auch SWE verwies auf seine schriftlich eingereichten Vorschläge.

KOM wies darauf hin, dass Prävention natürlich eine Aufgabe des EU-Zentrums sei. Mit der VO würden keine zusätzlichen Aufgaben für Europol geschaffen, daher gebe es auch keine Auswirkungen auf das Europol-Budget.

Vorsitz kündigte an, ggf. noch weitere Textanpassungen vorzunehmen.

d) Kapitel II, Abschnitt 1 (Risikobewertungs- und Risikominderungspflichten)

SWE plädierte dafür, in Art. 3 die Kriterien für die Risikobewertung nochmals zu überprüfen.

POL kündigte eine schriftliche Stellungnahme an.

HUN zu Art. 4 mit Verweis auf seine schriftlichen Anmerkungen und Ankündigung zusätzlicher Textvorschläge.

Zum „sign of compliance“ (Art. 5b) unterschiedliche Auffassungen der Delegationen. Zustimmend grundsätzlich IRL und BEL.

CZE plädierte für „may“ statt „shall“-Vorschrift.

FRA zögerlich beim Siegel („evtl. kontraproduktiv“) und mit Bedenken gegen Befugnis zu entsprechenden delegierten Rechtsakten.

Kritisch auch FIN, ROU und SVN, insbesondere im Hinblick auf mögliche „trügerische Sicherheit“ und hohen Verwaltungsaufwand bei 6-monatiger Überprüfung.

KOM plädierte dafür, dass MS den Mehrwert des Siegels prüfen sollten.

Vorsitz forderte MS auf, sich klar zu der Vorschrift zu positionieren. Ggf. werde er die Regelung im Text streichen, in jedem Fall dürfe kein zu hoher Verwaltungsaufwand entstehen.

e) Artikel 1 (Gegenstand und Anwendungsbereich)

CZE mit PV.

POL, NLD und EST mit Forderung, Formulierungen zu Verschlüsselung in den verfügenden Teil der VO aufzunehmen.

Vorsitz kündigte entsprechende Prüfung an („ggf. in Art. 10“).

4) Übermittlung schriftlicher Kommentare, weiteres Vorgehen

Vorsitz erbat Übermittlung schriftlicher Kommentare möglichst bis 06.09.2023, DS. Er werde am 08.09.2023 einen neuen Kompromisstext übersenden.


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