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Worldcoin: Noch ein Waggon im KI-Hype-Zug

Mit der Cryptowährung Worldcoin will der Unternehmer Sam Altman die Welt zu einem gerechteren Ort machen. Als Grundeinkommen soll sie allen Menschen zukommen und vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz schützen. Dazu bemüht Altman erneut die Angst vor einer KI, die den Menschen über den Kopf wächst und die den KI-Hype wesentlich antreibt. Ein Kommentar.

OpenAI-Gründer Sam Altman, im Hintergrund die Iris eines menschlichen Auges
Für Worldcoin, die Cryptowährung von OpenAI-Gründer Sam Altman, fusionieren KI-Hype und Blockchain-Hype zu einem Irisscan. – Alle Rechte vorbehalten Hintergrund/Iris: Unsplash/v2osk, Sam Altman: IMAGO/ZUMA Wire; Montage: netzpolitik.org

Erinnert sich noch jemand an den offenen Brief der Tech-Elite aus dem Silicon Valley von Ende März? Neben anderen namhaften Unterzeichnern plädierten Elon Musk und Apple-Mitgründer Steve Wozniak für ein sechsmonatiges Moratorium bei Forschung und Entwicklung von KI-Systemen. Ihre Motivation war die Angst, dass es bald eine Künstliche Intelligenz (KI) geben würde, die smarter sein wird als der Mensch und die dem Menschen nicht wohlwollend gegenüber steht. Inzwischen haben über 33.000 Personen den Brief unterzeichnet und damit ihren dringenden Sorgen Ausdruck verliehen.

Unterzeichnet hat der KI-Unternehmer Sam Altman diesen Brief zwar nicht, aber er spielt offenbar mit den gleichen Sorgen. In einem Interview mit der ZEIT erklärte er: „Irgendwann werden wir ein Modell erschaffen, das gefährlich ist.“ Altman ist der Gründer von OpenAI. Das Unternehmen erlangte schlagartig große Bekanntheit durch die Entwicklung des Sprachmodells GPT-4. In der öffentlichen Debatte ist das Modell und die App ChatGPT zusammen mit dem Bildgenerator Midjourney mittlerweile das Paradebeispiel für KI.

Versprechen auf gerechte Verteilung

Und auch in seinem neuen Projekt beschwört Altman das dystopische Szenario einer nahenden Advanced General Intelligence (AGI) herauf, einer KI, die schlauer sein wird als wir. Um mögliche Gefahren abzufedern, unter anderem Massenarbeitslosigkeit, gibt er zusammen mit einem jungen deutschen Physiker namens Alex Blania der Welt eine eigene Blockchain-Währung: den Worldcoin.

In der Logik um die drohende AGI ist der Schritt möglicherweise gar nicht so abwegig. Sicher, man muss auch die Vorannahme teilen, dass sie das Potential hat, die wirtschaftliche Produktivität weltweit anzukurbeln und Wohlstand zu bringen. Eine Begründung für diese Annahme bleiben Altman und Blania schuldig.

Damit der Wohlstand nicht dem Reichtum von Eliten zufällt, sei es wichtig, schon jetzt Strukturen zu schaffen, ihn auf alle Menschen zu verteilen. Die Betonung liegt hier auf „Menschen“. Um zu verhindern, dass sich eine KI im Währungssystem einen Vorteil verschafft oder sich Menschen mithilfe von KI mehrere Konten erstellen können, haben Altman und Blania den Irisscanner „The Orb“ erfunden.

Keine Angst vorm Orb

Stark vereinfacht: Sie stellen sich vor, dass alle Erdenbürger:innen ihre Iris einscannen lassen. Auf diese Weise sollen sie ihr Menschsein verifizieren, Altman nennt es „verified humanness“. Erst dann erhalten sie eine World-ID. Das ist eine Blockchain-Wallet, in der sie ihre Worldcoins verwalten. Der Scan der Iris ist laut Altman und Blaina dafür notwendig, um sogenannte Sybil-Angriffe zu verhindern. Dabei versucht eine Person mehrere Konten anzulegen. Dafür nutzt sie Klone von sich, die sie mithilfe KI erstellen kann.

Laut Unternehmenswebseite haben schon über 2 Millionen Menschen ihr Auge und Gesicht vor den Orb gehalten. Manche auch trotz Bedenken.

Mit diesem System verfolgen Altman und Blania die Vision, ein Identitäts- und ein Finanznetzwerk
zu erschaffen, „welches allen gehört“. Sie erklären, allen Menschen Zugang zum globalen Wirtschaftssystem ermöglichen zu wollen. Dabei versprechen sie, dass die World-ID die Privatsphäre schützt und Menschen Worldcoin einfach dafür erhalten, dass sie Menschen sind.

Liefen wir Gefahr, dass uns die KI unsere Arbeitsplätze streitig macht, hätten die Menschen ein solches Grundeinkommen vielleicht nötig. Diese Angst ist aber unbegründet. Denn die derzeitige Entwicklung und der Betrieb von KI-Systemen zeigt, dass dafür die Arbeit vieler Menschen notwendig ist. Im Interview hat die Forscherin Milagros Miceli vom Berliner Weizenbaum-Institut erklärt, wie wichtig es ist, KI-Systeme als das anzuerkennen, was sie sind: „von Menschenhand betriebene Werkzeuge“.

Das erinnert sehr an „Die Macht der Computer“ von Joseph Weizenbaum, einem frühen KI-Forscher und KI-Kritiker. Die Macht sah er nicht etwa darin, dass sie den Menschen in ihrer Intelligenz überlegen sein würden. Vielmehr kritisierte er, dass Menschen immer mehr dazu neigen, ihr Verhalten dem der Maschinen anzupassen. Von diesen gehe die Gefahr aus, als konservative Kraft den sozialen Fortschritt zu behindern.

KI meets Blockchain

Bislang haben vor allem Menschen aus dem globalen Süden ihre biometrischen Daten zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen hat Mitarbeiter:innen mit dem Orb im Gepäck ausgesandt, um Daten zu sammeln, die es, wie es heißt, bis auf Weiteres in einer biometrischen Datenbank gespeichert hat. Als neue Nutzer:innen haben sie im Gegenzug Worldcoin im Wert von mindestens 15 US-Dollar erhalten und die Aussicht auf ein anhaltendes monatliches Grundeinkommen in Form eines Crypto-Tokens. Es ist ein Versprechen. Denn noch können die Spender:innen mit ihren digitalen Zahlenblöcken nichts anfangen.

Die Wörter „Wallet“ und „Coin“ sind die Insignien einer jeden Blockchain-Währung. Die zwei bekanntesten sind wohl Bitcoin und Ether. Daneben gibt es laut Statista über 9.800 andere. Aufgefallen sind sie bislang hauptsächlich durch starke Kursschwankungen und Skandale. Im vergangenen Jahr hat der Zusammenbruch der Crypto-Austauschbörsen FTX und Celsius das Vertrauen vieler Anleger:innen erschüttert und die Aufsichtsbehörden auf den Plan gerufen.

Dass sich der Worldcoin wie eine Kryptowährung verhält und verhalten wird, „ist natürlich etwas, das wir nicht ändern können“, gesteht Friederike Lumbroso-Baumgartner, Market Manager Germany bei Worldcoin, gegenüber golem.de ein. Für Menschen, die etwas übrig haben und gern spekulieren, mag das kein Risiko darstellen. Für Menschen, die nichts haben und sich den Kopf zerbrechen, wie sie etwas bezahlen, ist die instabile Währung als Zahlungsmittel ungeeignet, zumindest aber eine zynische Vergütung für biometrische Daten.

Was bleibt

Wenn man nüchtern auf die KI-Forschung blickt und sich nicht von der irrationalen Angst einer übermächtigen KI überrennen lässt, und wenn man es auch noch schafft zu erkennen, dass die Gründer des Worldcoin noch nicht erklärt haben, wie ihr universelles Grundeinkommen für die Menschen einen Mehrwert darstellen soll, dann bleiben zwei Erkenntnisse übrig: Erstens, Worldcoin ist eine Cryptowährung unter tausenden anderen und verbunden mit allen Problemen, die solche Währungen mit sich bringen.

Und zweitens, das Unternehmen dahinter sammelt eifrig Irisscans. Das macht es so fleißig, dass es sogar Welttourneen des Orbs plant und ausführt. Für die Daten verspricht es absolute Privatsphäre. Doch die Forscher:innen Eileen Guo und Adi Renaldi vom MIT haben im April 2022 erklärt, dass sie „große Lücken zwischen den öffentlichen Mitteilungen von Worldcoin, die sich auf den Schutz der Privatsphäre konzentrieren, und den Erfahrungen der Nutzer aufgedeckt“ haben.

Ihr Bericht bezieht sich vor allem auf die Datensammelei durch Mitarbeiter:innen von Worldcoin im globalen Süden. Sie konnten Vertretern des Unternehmens „irreführende Marketingpraktiken“ nachweisen und fanden heraus, dass diese „mehr persönliche Daten sammelten, als sie zugaben, und es versäumten, eine sinnvolle informierte Zustimmung einzuholen.“

Die Frage ist, was Worldcoin mit der zunehmenden Masse an Daten nun anstellt. Eine spekulative Frage, denn das Altman-Unternehmensuniversum ist von außen undurchschaubar. Also tief durchatmen und sich mit dem Artikel Olimpias Augen von Sebastian Meineck auf den Boden der Tatsachen darüber zurückholen, was KI (nicht) kann. Dann fällt auf, dass der Worldcoin als Lösung für ein Problem konzipiert ist, das Altman selbst vermarktet.


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