Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Polizeilicher Gewahrsam: Klimaaktivisten ohne Gerichtsverfahren in Haft

Klimaaktivisten sollen in Bayern durch Präventivgewahrsam an ihren Blockaden gehindert werden. Das Polizeiaufgabengesetz, das eine solche Präventivhaft erlaubt, gehört reformiert. Denn niemand sollte wochen- oder gar monatelang ohne ein Gerichtsverfahren in Haft verschwinden, egal wie störend politische Aktionen auch sein mögen. Ein Kommentar.

Autos, wohin das Auge blickt. (Wie sich eine Künstliche Intelligenz die Klimakatastrophe vorstellt.) – Diffusion Bee

Mehrere Menschen sollen in Bayern ohne Prozess für dreißig Tage einsitzen. Das teilte die Münchner Polizei am vergangenen Freitag mit: Zwölf Klimaaktivisten würden nach zwei Festklebeaktionen „vorbeugend“ eingesperrt, mindestens drei bleiben bis zum 2. Dezember in Haft. Die bayerische Polizei darf, ohne dass ein konkreter Tatverdacht vorliegt, zur Gefahrenabwehr eine Anordnung zu einem solchen Präventivgewahrsam erteilen.

Gesetzesgrundlage dafür ist das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG). Die Novelle des Gesetzes im Jahr 2018 war hoch umstritten und von großen Demonstrationen begleitet.

grossdemo muenchen mai 2018
Demonstranten soweit das Auge reicht: Mehr als 40.000 Menschen protestierten 2018 in München gegen das Polizeigesetz. - Alle Rechte vorbehalten Bündnis NoPag

Das härteste Polizeigesetz seit 1945 wurde dennoch rasch und geräuschlos im Mai 2018 durch den CSU-dominierten Landtag geschleust – nur fünf Tage nach einer Großdemonstration in München mit mehreren zehntausend Menschen. Heribert Prantl nannte den Polizeigewahrsam in der Süddeutschen Zeitung eine „Unendlichkeitshaft“, da das Gesetz anfangs vorsah, den Gewahrsam auf unbefristete Zeit verlängern zu können. Im geltenden Gesetz ist die Dauer dieser Vorbeugehaft auf zwei Monate begrenzt.

Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag fordert unterdessen schon härtere Sanktionen gegen die Aktivisten: Haft- statt Geldstrafe soll es hageln, schon „wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt“. Eine solche Haft wäre jedoch im Rahmen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens zu verhängen – und gerade nicht wie bei der bayerischen Präventivhaft auf Zuruf der Polizei.

Ohne einen Anwalt

Personen in Bayern können nach Paragraph 17 PAG sogar in Präventivgewahrsam genommen werden, ohne dass ein Anwalt beigestellt wird. Damit ist ein Betroffener schlechter gestellt als jeder Verdächtige einer Straftat, dem selbstverständlich ein Rechtsbeistand zusteht.

Der bayerische CSU-Innenminister Joachim Hermann hatte zwar angekündigt, man plane dazu eine Korrektur im Gesetz. Konkret sagt er im Interview mit dem Merkur im Jahr 2019: „Wo immer eine längerfristige Gewahrsamnahme erfolgt, muss unmissverständlich ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden.“ Doch selbst wenn diese rechtliche Verbesserung käme: Am möglichen mehrwöchigen Vorbeugegewahrsam an sich würde sich dadurch nichts ändern.

Polizeigesetze

Bei uns bleibst Du immer über Polizeigesetze informiert. Unterstütze unsere Arbeit!

Jetzt spenden

Das PAG erlaubte schon seit 2017, dass sogenannte „Gefährder“ mehr als zwei Wochen ohne Gerichtsverfahren eingesperrt werden dürfen. Diese Präventivhaft wurde im ersten Jahr nach Inkrafttreten in elf Fällen länger als zwei Wochen angewendet, wie eine Prüfkommission berichtete. Zwischen zwei Wochen und zwei Monaten habe die Zeit der Ingewahrsamnahme dabei betragen.

Als „Gefährder“ wurden zumeist Asylbewerber stigmatisiert und weggesperrt. Sie haben bekanntlich keine Lobby, wenn sie wochen- oder gar monatelang ohne ein Gerichtsverfahren in Haft verschwinden. Entsprechend gering fiel daher auch die mediale Aufregung aus.

Die Ohnmacht der bayerischen Polizei

Ganz anders ist dies nun in dem aktuellen Fall der inhaftierten Klimaaktivisten, der heiß diskutiert wird. Da die „Klimakleber“ wegen eines tödlichen Unfalls in Berlin gerade ohnehin die Gemüter bewegen, wird nun ausnahmsweise bundesweit über die fragwürdige polizeiliche Präventivhaft berichtet.

Eigentlich zeigt sich durch den Präventivgewahrsam nur die Ohnmacht der Polizei, die in Bayern mit 40.000 Polizeibeschäftigten zwar einen riesigen Apparat hat, aber mit Klimaaktivisten und ihren Blockaden nicht umzugehen weiß. Die Regeln macht sich die Polizei aber nicht selbst. Die eklatante Ignoranz gegenüber rechtsstaatlichen Standards muss dem Gesetzgeber ins Stammbuch geschrieben werden. Denn diese Standards sollten eigentlich selbstverständlich sein.

Ein gefährliches politisches Klima

Ja, die „Klimakleber“ stören, viele Menschen sind verärgert, wenn sie in als sinnlos empfundenen Staus stehen müssen. Aber deswegen dürfen nicht Maßnahmen gutgeheißen werden, die wir in anderen Ländern zu Recht als willkürlich brandmarken würden.

Ohne Protest und Druck für politische Anliegen kann es keine Veränderung gegen. Ob man dieses Anliegen teilt oder nicht: Wie Protestierende behandelt werden, daran muss sich ein Rechtsstaat messen lassen. Vielleicht ist dieses politische Klima, das sich derzeit ausbreitet, mindestens ebenso gefährlich wie die Klimakatastrophe, vor der die Aktivisten warnen.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires