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KW 20: Die Woche, als der Protest gegen Chatkontrolle lauter wurde

Ein rot-grünes Fraktal
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

erst letzte Woche hat die EU-Kommission ihren Gesetzentwurf zur Chatkontrolle vorgestellt. Aber es kommt mir vor, als wäre seitdem schon mindestens ein Monat vergangen, so viel ist passiert. Mehr als 100.000 Menschen haben eine Petition gegen die sogenannte Chatkontrolle unterschrieben. Weil sie nicht hinnehmen wollen, dass ihre private Kommunikation pauschal durchleuchtet wird. Auch Digitalminister Volker Wissing bezeichnet das als „nicht hinnehmbar“.

Und was sagen diejenigen, die sich das ausgedacht haben? Die EU-Kommission beginnt argumentativ zu rudern. „Da hat offenbar jemand nicht unseren gesamten Gesetzesvorschlag gelesen“, sagt Kommissarin Ylva Johansson dem Spiegel im Interview, als sie auf die Kritik angesprochen wird.

Was genau die Kritiker:innen nicht gelesen haben sollen? Eine konkrete Antwort bleibt sie schuldig. Sie redet von Schutzmaßnahmen, damit alles verhältnismäßig und gezielt bleibt. Davon, dass Firmen nur „minimalinvasive technische Verfahren“ nutzen dürften.

Wir haben den Vorschlag gelesen. 134 Seiten Jurist:innen-Englisch. Ich habe mit Kolleg:innen diskutiert, was dieser oder jener Satz heißt. Habe geflucht und geächzt. Und musste an Horst Seehofer denken, an seinen berühmten Satz: „Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf.“

Kompliziert war es allemal. Zum Beispiel, wenn jemand in dem einen Artikel auf bestimmte Absätze in fünf anderen verweist. Dann scrolle ich zurück, lese den Satz, auf den der Artikel verweist. Vergesse, welcher Absatz es genau war. Scrolle wieder zurück, gucke nach und vergesse, um was es eigentlich nochmal geht. Ein paar Mal habe ich das Dokument dann frustriert zugemacht, Kaffee gekocht und dann doch weitergelesen. Absätze rauskopiert, Kolleg:innen gefragt, repeat.

Aber kompliziert wird es auch, wenn es vage wird. Wenn da von „zuständigen Behörden“ die Rede ist, welche auch immer das am Ende sind. Oder wenn es „technologieneutral“ bleibt. Technologieneutral, damit verteidigte sich auch EU-Kommissarin Johansson im Interview. Man wolle ja nicht, dass der Plan „wegen des rasanten technischen Fortschritts schon obsolet ist“, bevor das Gesetz fertig wird.

Mich hat das wütend gemacht. Weil sie damit suggeriert, es gäbe schon so eine Technologie, die nur noch besser werden könnte. Die „minimalinvasiv“ und zuverlässig Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder erkennt. Egal, ob dieses Material vorher schon bekannt war oder nicht. Eine Technologie, die ohne mitzulesen zuverlässig rausfindet, ob da gerade ein Erwachsener ein Kind anquatscht, um an Nacktfotos zu kommen.

Ich finde, ehrlicherweise müsste man sagen: „Wir haben das technologieneutral gehalten, weil es die ideale Technologie noch nicht gibt. Wir hoffen, dass der rasante technische Fortschritt das Problem löst, bis das Gesetz durch ist.“ Das klingt allerdings nicht so gut. Es wäre das Eingeständnis, ein Gesetz auf dem Prinzip Hoffnung aufzubauen.

An einer Stelle redet aber Johansson selbst von dieser Hoffnung. Es geht darum, dass viele Menschen falsch verdächtigt werden könnten, wenn die automatisierte Erkennung einen Fehlalarm auslöst. Die EU-Kommissarin erwähnt daraufhin die „rasante“ Entwicklung von KI-Anwendungen und sagt: „Ich hoffe, sie werden besser und präziser.“

Ich halte viel von Hoffnung. Aber da, wo es um die private Kommunikation unzähliger Menschen geht, die massenweise überwacht werden soll, finde ich das deplatziert. Deshalb hoffe ich auch nicht einfach, dass die EU-Kommission das einsieht, sondern lese und schreibe weiter. Auch wenn es kompliziert ist. Es fällt nämlich doch auf, wenn man genau genug hinguckt.

Bleibt kritisch und habt ein gutes Wochenende!
anna


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