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Studie: Wie Chefs ihre Angestellten überwachen

Ein Mann wertet Überwachungskameras aus

Keine Frage, die Zeiterfassung am Arbeitsplatz ist digital viel praktischer als mit analoger Stechkarte. Doch beim Aufschreiben von Zeiten bleibt es oft nicht: Längst können solche Systeme etwa Daten über Arbeitstätigkeiten erfassen und festhalten, mit welchen Projekten oder Kund:innen sich Mitarbeitende wie lange beschäftigt haben. Später lassen sich diese Daten für Abrechnungen nutzen oder mit anderen Datenquellen vernetzen. Firmen wollen damit betriebliche Abläufe optimieren, während Arbeitnehmer:innen zunehmend gläsern werden.

„Unternehmen können digitale Überwachung und Kontrolle nutzen, um Arbeit zu beschleunigen und zu verdichten, Freiräume einzuengen oder Beschäftigte leichter ersetzbar zu machen“, sagt Wolfie Christl. In einer 150 Seiten starken Studie hat der österreichische Datenschutz-Aktivist für die NGO Cracked Labs untersucht, wie weit die digitale Überwachung am Arbeitsplatz inzwischen fortgeschritten ist. Die Studie ist Teil des Projekts „Gläserne Belegschaft“ und wurde mit Hilfe österreichischen Gewerkschaften und der Arbeiterkammer Wien erstellt.

Druck auf Angestellte wächst

Erstmals im deutschen Sprachraum dokumentiert die Studie einschlägige Technologien und die Auswirkungen auf Beschäftigte, ob sie im Call Center, Handel oder im Büro arbeiten. Neun Fallstudien über am Markt verfügbare Systeme zeigen zudem, welche technischen Möglichkeiten und Funktionen betriebliche Software bietet und wie dabei Daten über Beschäftigte verarbeitet werden.

Der Onlinehandel-Riese Amazon kontrolliert etwa seine Angestellten akribisch und sorgt so dafür, dass sie nicht allzu lange „inaktiv“ bleiben. Noch weiter scheint der Onlinehändler Zalando gegangen zu sein. Tausende Mitarbeiter:innen beurteilten sich mit dem internen Bewertungssystem Zonar gegenseitig, die Ratings der Kolleg:innen entschieden dann über den weiteren Karriereverlauf mit. Nach einer Prüfung durch die Berliner Datenschutzbehörde änderte Zalando das System, um den dauerhaften Überwachungsdruck zu senken.

Rechtlicher Graubereich

Viele der in der Studie besprochenen Systeme dürften sich in einem rechtlichen Graubereich bewegen. Zwar erlaube die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) grundsätzlich Kollektivvereinbarungen, erklärt Simon Rebiger, Sprecher der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI). Diese können bestimmte Rechte abschwächen. Allerdings müssten solche Vereinbarungen „geeignete und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person“ enthalten, wie es im EU-Gesetz heißt.

Ohne die in der Studie erwähnten Systeme im Detail zu bewerten, lässt sich laut Rebiger aber grundsätzlich festhalten: Eine systematische Verhaltens- und Leistungskontrolle am Arbeitsplatz ist unzulässig. „Geschieht dies beispielsweise durch eine automatisierte Auswertung von Daten, ist davon auszugehen, dass es sich um eine datenschutzrechtlich unzulässige Form der systematischen Kontrolle handelt“, sagt Rebiger. Nach Auffassung der BlnBDI sei es Arbeitgeber:innen nicht erlaubt, etwa (E-Mail-)Metadaten auszuwerten, Tastaturanschläge zu kontrollieren oder zu überwachen, ob Beschäftigte auf den Bildschirm schauen.

Für eine digitale rigide Kontrolle von Arbeitstätigkeiten brauche es nicht unbedingt GPS-Standorte oder andere detaillierte Verhaltensdaten, betont Christl. „Sobald zum Beispiel in eine App zur Aufgabenverwaltung oder Kundenabrechnung Informationen über die Beginn- und Endzeitpunkte von Arbeitsschritten eingegeben werden, und dazu vielleicht auch noch über die Art der durchgeführten Tätigkeiten und ihr Ergebnis, können weitreichende Leistungsauswertungen durchgeführt werden“, sagt der Datenforscher.

Im Office-Paket versteckt

Vieles davon lässt sich auch mit scheinbar harmloser Bürosoftware erledigen, etwa mit dem weit verbreiteten Office-Paket von Microsoft. Damit können in der Cloud liegende Aktivitätsdaten von Word, Excel & Co. aufgezeichnet und ausgewertet werden. Bestimmte Überwachungsfunktionen hat Microsoft, nach einer öffentlichen Intervention von Wolfie Christl, inzwischen eingestellt. Dennoch lässt sich das Paket weiterhin unter anderem zur Produktivitätsbewertung von Mitarbeiter:innen einsetzen.

Christl bezweifelt, dass Produkte wie Workplace Analytics von Microsoft, das „die gesamte Kommunikation der Belegschaft auswertet und daraus seltsame Kennzahlen berechnet“, überhaupt ihre Verkaufsversprechen erfüllen können. Indes würden sie manchmal auch ausgerollt, so Christl, weil Hersteller und Beratungsfirmen Panik verbreiten und den Betrieben einreden würden, sie hätten keine Zukunft, wenn sie nicht endlich auch auf den Zug der exzessiven Datenausbeutung aufspringen. „Im schlechtesten Fall werden solche Tools eingesetzt, obwohl sie nicht einmal funktionieren, haben dabei aber trotzdem negative Auswirkungen auf Arbeitnehmer:innen“, sagt Christl.

Geändertes Verhalten

Oft wissen diese aber nicht einmal, dass sie überwacht werden, vermutet BlnBDI-Sprecher Rebiger. Rund drei einschlägige Eingaben gehen monatlich bei der BlnBDI ein, die sich zudem mehrheitlich nicht gegen systematische Missstände richteten. Dies erlaube jedoch keine verlässlichen Aussagen über die Verbreitung von Überwachungssystemen am Arbeitsplatz. „Angesichts dieser Herausforderungen sprechen sich die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz seit Jahren für ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz aus, um auch die Grenzen der zulässigen Kontrolle von Beschäftigen genauer zu regeln“, so Rebiger.

Doch selbst wenn Angestellte wissen, überwacht zu werden, löst das ein grundlegendes Problem der digitalen Überwachung am Arbeitsplatz nicht: Die Überwachung führe wahrscheinlich nicht nur dazu, dass sich die betroffene Person in der einzelnen überwachten Situation nach den Vorgaben verhält, sagt der Berliner Datenschützer. „Solche Maßnahmen können sich längerfristig auf das gesamte Verhalten der Person auswirken. Spätestens hier sind Interessenkonflikte mit den Freiheiten und Grundrechten der Betroffenen gegeben, welche zugunsten der Rechte der Betroffenen und gegen die fortlaufende Überwachung aufgelöst werden müssen.“


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