Malik Aziz (@twittlik) ist verantwortlich für die Gestaltung der App „Ladefuchs“ und macht sonst in Design, Videoproduktion und Podcasts. Bastian Wölfle (@schlingel) ist verantwortlich für Android sowie API Code vom Ladefuchs und hauptberuflich angestellter Product Owner in einem Technologieunternehmen. Beata Hubrig ist Rechtsanwältin, auf unrechtmäßige urheberrechtliche Abmahnungen spezialisiert und vertritt Freifunker und Tor-Aktivisten, die unberechtigt abgemahnt wurden.
Im Oktober 2020 trafen wir eine Entscheidung, die uns später teuer zu stehen kommen wird: Wir mochten unser neues Logo mit dem Fuchs und diskutierten darüber, wie gut es wohl auf einem Auto aussähe. Dank der Google-Bildersuche fanden wir schnell ein schönes Foto eines weißen Tesla Model 3 von autofilou.at. Nach ein bisschen Photoshop saß der Fuchs halbwegs richtig auf dem Auto.
Wir beschlossen, das Bild zu twittern, denn es könnte der Community gefallen. Wir konnten nicht ahnen, was wir damit in Gang setzen würden.
Ohne Erlaubnis
Wir hatten das Foto nicht selbst gemacht, das war uns bewusst. Deshalb kurz zur Quelle: „autofilou“ ist ein Autoblog aus Österreich, betrieben von drei Jungs, die wie wir offenbar Spaß an (E-)Autos haben. Dazu drehen und produzieren sie unterhaltsame Youtube-Videos und schreiben fundierte Blogartikel. Alles sehr persönlich, mit Anspruch.
Wir erkannten uns dort wieder: Als Podcaster, E-Mobilisten und App-Entwickler einer kostenlosen App stellen wir auch gern anderen etwas kostenlos zur Verfügung. Der Youtube-Kanal des Blogs zeigt knapp sechshundert AbonnentInnen, eigentlich viel zu wenig für die irre Schlagzahl an Videos. Wir wollten daher die Kollegen unterstützen, haben wir doch zusammen eine Reichweite von deutlich jenseits der 10.000 FollowerInnen: So kam die Blog-URL mit auf das Foto.
Wir gingen davon aus, dass beide Seiten etwas davon haben. Über das Einholen von Erlaubnissen hatten wir nicht weiter nachgedacht, wir wollten aber unsere Quelle angeben: Unser nächtlicher Tweet enthielt dann das Foto mit der in das Bild gebrannten Fußzeile „geklaut bei autofilou.at“. Es kam ein bisschen positives Feedback zu unserem Remix, doch der Tweet war schnell vergessen.
Dann kommen die Anwaltsgebühren
Ende November 2020 werden wir allerdings wieder an den Tweet erinnert: Im Briefkasten liegt per Einschreiben zugestellte Post aus Österreich. Es ist eine Abmahnung der Kanzlei Steinmayr & Pitner aus Wien. Es geht um unseren Tweet mit genau diesem Bild, welchen wir „auf unserer Seite“ (sic) veröffentlicht haben. Gemeint ist damit unser „ladefuchs“-Twitter-Account.
Verlangt wird ein Honorar für das Foto von 242 Euro. Das ist sicherlich nicht das günstigste Foto-Honorar, aber es erscheint uns im Rahmen. Doch dazu kommen Anwaltsgebühren plus Steuern in Höhe von 1.228,42 Euro. Verlangt wird auch, dass wir die Unterlassungserklärung auf einer Unterseite veröffentlichen.
43.200 Euro Streitwert?
Hätten wir einfach eine Rechnung über das Honorar bekommen, wäre sie inzwischen bezahlt und die Geschichte erledigt. Aber wie passen ein Honorar von 242 Euro und ein Anwaltsschreiben in fünffacher Höhe zusammen, welches für den Laien sehr nach einer fertigen Kopiervorlage aussieht?
Die Kanzlei Steinmayr & Pitner klärt uns auf: Der konstruierte Streitwert des Unterlassungsanspruchs beträgt 43.200 Euro. Das wirtschaftliche Interesse von autofilou.at, eine erneute Nutzung des Fotos zu verhindern, soll also ca. beim Faktor 200 liegen. Begründet wird das aber nicht.
Als erste Amtshandlung löschen wir den Tweet. Dann suchen wir Rat bei Rechtsanwältin Beata Hubrig, die wir für ihre Mitarbeit am Abmahnbeantworter schätzen und die auf unrechtmäßige urheberrechtliche Abmahnungen spezialisiert ist.
Hubrig weist mit dem Hinweis auf grobe inhaltliche Fehler der Abmahnung die Ansprüche zurück. Sie teilt schriftlich mit, dass wir das Foto inhaltlich künstlerisch verändert und auch nie vorgegeben haben, Urheber zu sein. Für den Rechtsfrieden versprachen wir dennoch, die Nutzung des Fotos zukünftig zu unterlassen.
Bisher schienen uns 1.228,42 Euro für die kurzzeitige Twitter-Nutzung des Fotos und 297,50 € für unsere Anwältin schon viel, aber ein Streitwert von 43.420 Euro bringt uns als Privatpersonen an den Rand der Insolvenz. Der Tweet ist längst gelöscht und damit die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung aufgehoben. Aber eine Einigung erscheint dennoch aussichtslos.
Beim Handelsgericht
Im Januar 2021 reichen Steinmayr & Pitner Klage beim Handelsgericht Wien ein. Der Streitwert soll jetzt bei 35.000 Euro liegen. Das sind zwar 10.000 Euro weniger als bei einer außergerichtlichen Einigung, macht aber bei einem derart hohen Streitwert für uns keinen Unterschied. Innerhalb von vier Wochen haben wir die Möglichkeit, uns gegen die Klage zu verteidigen.
Wir brauchen ein Woche, um einen Rechtsanwalt in Wien zu finden, der sich den Fall ansieht. Eine Woche später erhalten wir die Information, dass es aussichtslos sei, sich gegen die Klage zu wehren. Insbesondere sei es mit dem EU-Recht vereinbar, dass wir außerhalb von Deutschland wegen einer Urheberrechtsverletzung verklagt werden können. Außerdem gibt es eine Zuteilung aller Urheberrechtsstreitigkeiten in Österreich an das Handelsgericht Wien.
Wir sind nur Freunde, die in ihrer Freizeit eine kostenlose App bauen, was sollen wir beim Handelsgericht? Trotzdem wartet Ende Januar eine Klage des Handelsgerichts Wien im Briefkasten. Wir werden als Privatpersonen nun verklagt vor einem Gericht, das sich vorwiegend mit Wettbewerbsrecht beschäftigt. Es ist ein Gericht, an dem eine Privatperson gar nicht auftreten darf, sondern nur Anwälte, in Person und vor Ort – und ausschließlich mit österreichischer Zulassung. Unsere Anwältin hat eine deutsche Zulassung, sie kann uns dort nicht vertreten. In Anbetracht des hohen Risikos und eines leeren Geldbeutels einigen wir uns auf das Abwarten des Versäumnisurteils und das Bezahlen der reduzierten Gebühren.
Ende April erreicht uns das Urteil. Die Klageschrift des gegnerischen Anwalts scheint für uns ungeprüft in ein Urteil überführt worden zu sein. Dass es sich bei dem Twitter-Bild um eine Bearbeitung handelt, dass eine Privatperson verklagt wird und dass durch die Löschung des Tweets die Urheberrechtsverletzung nicht besonders intensiv war und wir bereits das Unterlassen versprochen haben, das alles scheint nicht relevant zu sein.
Aber die Verfahrenskosten läppern sich. Da wir weiterhin keine österreichischen Anwälte sind, können wir keinen Einspruch einlegen. Wir können nicht mal anrufen und Bescheid sagen, dass Bastian keine Firma ist. Wir sind nicht sicher, ob das Handelsgericht hier überhaupt zuständig ist. Offenbar gibt die Rechtslage in Österreich das alles her, anders als in anderen EU-Staaten. Zu alledem kommen überraschend im Urteil mehrfache Gebühren hinzu und blasen damit die Endsumme auf nun 3.448,40 Euro auf.
Übrigens: Von diesem Haufen Geld bekommt autofilou.at weiterhin genau nur 242 Euro. Eine Mail, ein Tweet oder ein Anruf hätten genügt, um das direkt unter Gleichgesinnten zu klären, denn am Schluss sind wir alle genau dasselbe: Drei Freunde, die zusammen in ihrer Freizeit an etwas arbeiten.
Das eigentliche Problem
Im Nachhinein hätten wir uns gewünscht, dass wir autofilou.at vor Nutzung ihres Bildes gefragt hätten. Genauso hätten wir uns über eine E-Mail von autofilou.at gefreut, bevor die Sache über Anwälte lief.
Inzwischen konnten wir persönlich miteinander sprechen und wissen jetzt, dass es den Jungs so leid tut wie uns und sie niemals vorhatten, diese enorm hohen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten zu produzieren. Sie haben uns sogar ungefragt angeboten, zumindest das Honorar zurückzuzahlen oder zu spenden.
Das eigentliche Problem liegt nämlich im Urheberrechtssystem. Bei einer Bagatelle wie der privaten Nutzung eines Bildes auf Twitter, die sicherlich täglich tausende Mal passiert, ist völlig unverständlich, wie jemand auf den absurden Streitwert von über 43.000 Euro kommt. Bei solchen Summen wird im Rechtssystem sofort mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Ob wir einen Fehler gemacht haben, können wir bei einem derart hohen Streitwert nicht verhandeln. Es kann nicht richtig sein, dass sich Abmahnkanzleien finanziell an Laien gesundstoßen. Abmahnungen sind ein sinnvolles Werkzeug zwischen Firmen einer gewissen Größe, oft mit einer Rechtsabteilung. Gegen Privatpersonen sind sie hingegen reine Abzocke. Das zeigen auch die vielen Zuschriften von Betroffenen an uns, die wegen geringster Unachtsamkeiten (etwa: „Ich war noch als Admin-C bei einer Seite eingetragen, die mir mal gehört hat.“) fünfstellige Summen bezahlen mussten.
Durch die Inanspruchnahme eines Anwalts sind astronomische Gebühren entstanden, die mit der Urheberrechtsverletzung in keinem Zusammenhang mehr stehen. Auch wenn es an unserem Fall nichts mehr ändern wird, fordern wir das Ende des Abmahnunwesens und konkret:
- Abmahnungen dürfen nur zwischen Unternehmen einer gewissen Größe ausgesprochen werden.
- Es muss eine Schlichtungsstelle für Urheberrechtsverletzungen eingerichtet werden, für die man keine AnwältInnen braucht.
- Streitwerte müssen gedeckelt sein. Der Streitwert muss tatsächlich abhängig davon sein, wie hoch das wirtschaftliche Interesse der RechteinhaberIn wirklich ist. Dazu sollten (anders als heute) Fakten vorgetragen werden müssen.
- Solche Auseinandersetzungen gehören nicht vor ein Handelsgericht.
Es ist erfreulich, dass wir persönlich mit dem Fotografen alles klären konnten. Gleichzeitig frustriert uns nach all der ehrenamtlichen Arbeit der Verlust einer solchen Summe natürlich sehr. Wir hoffen auf eine fundamentale Änderung der rechtlichen Regelungen, damit es auch morgen noch Projekte wie den Ladefuchs geben kann.
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