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BND-Gesetz: Bundeskanzleramt simuliert Verbändebeteiligung mit 24-Stunden-Frist

Gerade mal einen Tag hat das Bundeskanzleramt Verbänden eingeräumt, um zum neuen BND-Gesetz Stellung zu nehmen. Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte sind empört. Sie werfen dem Bundeskanzleramt Geheimniskrämerei vor – und veröffentlichen den Referentenentwurf.

BND-Zentrale
Das Gebäude des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebroker

Das Bundeskanzleramt hat Verbänden eine Frist von gerade einmal gut 24 Stunden gesetzt, um zum 88-seitigen Referentenentwurf des neuen BND-Gesetzes Stellung zu nehmen. Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht das Dokument (PDF) und kritisiert gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das Vorgehen der zuständigen Behörden als unzureichende Verbändebeteiligung und mangelnde Einbindung der Öffentlichkeit.

Das Bundeskanzleramt arbeitet derzeit an einer weiteren Reform des BND-Gesetzes (BNDG), das die rechtliche Grundlage für die Arbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND legt. Es ist die dritte Änderung des Gesetzes seit den Snowden-Enthüllungen vor rund zehn Jahren.

Laut Reporter ohne Grenzen fördere bereits eine erste Prüfung der geplanten Änderungen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen. „Der Gesetzgeber verpasst erneut die Chance auf eine längst überfällige und ganzheitliche Reform des BNDG, das auf den festen Boden der Verfassung gehört“, so Reporter ohne Grenzen (ROG) in einer Pressemitteilung.

„Vorgehen des Bundeskanzleramts enttäuscht“

„Es ist ein Trauerspiel. Der Gesetzgeber scheint an einer ernsthaft-demokratischen Verbändebeteiligung bei der Reform von Sicherheitsgesetzen kaum Interesse zu haben“, sagt Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen. „Das Vorgehen des Bundeskanzleramts enttäuscht und verstärkt den Rückwärtstrend bei der Stellungnahmefrist. Gut 24 Stunden hatten wir Zeit für die Kommentierung eines 88-seitigen Referentenentwurfs, der zudem kaum in der Öffentlichkeit angekommen ist. Es scheint, als operiere nicht nur der BND im Geheimen, sondern nun auch das Bundeskanzleramt bei Gesetzesentwürfen.“

Aus Sicht von ROG und GFF sei in so kurzer Zeit eine sorgfältige und tiefgründige Kommentierung des komplexen Regelwerks schlicht nicht leistbar und der Qualität eines Gesetzgebungsverfahrens wenig zuträglich. Die Fristsetzung könne nicht als eine angemessene, demokratische Verbändebeteiligung verstanden werden. Um verfassungsrechtliche Risiken und den unrechtmäßigen Eingriff in Grundrechte zu vermeiden, sei gerade im Bereich der Sicherheitsgesetze Gründlichkeit vor Schnelligkeit sowie ein ergebnisoffener öffentlicher Diskurs während des Gesetzgebungsverfahrens dringend geboten.

Kritik wird nicht beachtet

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Bundesnachrichtendienst im BND-Gesetz sowie im G-10-Gesetz umzusetzen. Das Gericht hatte mit seinem Beschluss vom 28. September 2022 erklärt, dass die Regelungen über die Übermittlung von Informationen in Staatsschutzangelegenheiten nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz mit dem Grundgesetz teilweise unvereinbar sind. Gleichzeitig beabsichtigte das Bundeskanzleramt, den Schutz von Verschlusssachen innerhalb des BND zu stärken.

Aus Sicht der Bürgerrechtsorganisationen bringe der Referentenentwurf zwar Verbesserungen mit sich. So stelle dieser unter anderem klar, dass bestimmte, den Verdacht einer Straftat begründende Tatsachen vorliegen müssen, bevor Informationen an inländische Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Zugleich aber blieben wesentliche Kritikpunkte unbeachtet, die RSF und GFF im Dezember 2022 in einer Verfassungsbeschwerde formuliert hatten, obwohl diese in eine verfassungsrechtlich saubere Überarbeitung des BNDG einfließen müssten.

Schlechter Schutz für ausländische Medienschaffende

ROG und GFF haben nun in einer kurzen Stellungnahme (PDF) ihre Kritikpunkte an ausgewählten Regelungen des neuen Entwurfs formuliert – trotz der extrem knappen Frist. Beide Organisationen behalten sich vor, in einem späteren Stadium des Gesetzgebungsverfahrens ausführlich Stellung zu beziehen.

Laut der Stellungnahme müsse das BND-Gesetz Vertraulichkeitsbeziehungen beispielsweise zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen umfassend vor Überwachung schützen. Dieser Schutz müsse sämtliche mit der journalistischen Arbeit verbundenen Informationen und Daten einschließen. Dazu gehörten personenbezogene Daten – etwa Namen, Telefonnummern oder IP-Adressen – sowie Recherchematerial und Verkehrsdaten wie Mailadressen oder Betreffzeilen von E-Mails der Beteiligten.

Die Organisationen kritisieren zudem, dass das Gesetz zu Medienschaffenden „zweiter Klasse“ führe. Der Schutz vor Überwachung sei gerade bei Nicht-EU-Journalist:innen extrem schwach. Auch europäische Journalist:innen seien im Vergleich zu ihren deutschen Kolleg:innen schlechter vor Überwachung geschützt. Hier seien Nachbesserungen erforderlich. Darüber hinaus müsse die Aufsicht über die Arbeit der Geheimdienste deutlich verbessert werden.

Verfassungsbeschwerde gegen BND-Gesetz-Reform

ROG und GFF hatten schon im Jahr 2017 eine Verfassungsbeschwerde erhoben, die sich gegen die nach den Snowden-Enthüllungen eingeführten Rechtsgrundlagen für die strategische Auslandsüberwachung des Geheimdienstes richtete. Im Mai 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das BND-Gesetz für verfassungswidrig, weil es gegen die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1) verstieß. Daraufhin reformierte die Große Koalition das BND-Gesetz.

Trotz unzähliger Hinweise von Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren kam nach Ansicht der Nichtregierungsorganisationen ein Gesetz heraus, das etliche Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts verletze und jenseits dieser Maßgaben weitere verfassungswidrige Befugnisse eingeführt habe. Ende 2022 erhoben ROG und GFF daher erneut Verfassungsbeschwerde gegen das aktuelle BND-Gesetz.


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