Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Tracking und Targeting: Wir brauchen ein Umdenken bei der Online-Werbung

Hand die zum Abschied winkt
Bye bye, Targeted Advertising: Die Medien hätten sich längst davon verabschieden sollen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Iona Christiana

Das Erdbeben, das derzeit das Ökosystem der Online-Werbung erschüttert, geht von Belgien aus. Vorige Woche hat dort die Datenschutzbehörde entschieden, dass das „Transparency and Consent Framework“ (TCF) rechtswidrig ist. Dieser technische Standard bildet eine der Grundlagen dafür, dass die Werbeindustrie das Netz in den letzten Jahren mit Cookie-Bannern zugekleistert hat.

Eigentlich soll das TCF es ermöglichen, dass Werbeunternehmen auf einer sicheren Rechtsgrundlage Informationen über die Besucher:innen von Websites in Profilen zusammenführen. Ein wichtiger Baustein für das weit verbreitete Real-Time-Bidding, bei dem Werbekund:innen automatisch und in Echtzeit per Auktion um Anzeigenplätze bei den gewünschten Zielgruppen bieten. Entwickelt und betrieben wird das System von einem Branchenverband der Onlinewerbeindustrie, IAB Europe. Eingesetzt wird es von fast allen, die auf ihren Seiten Targeted Advertising anbieten: Von kleinen Blogger:innen, großen Nachrichtenmedien und Datenkonzernen wie Google.

Bis jetzt jedenfalls. Denn was dem umstrittenen Geschäftsmodell Legitimität und Rechtssicherheit verschaffen sollte, ist selbst illegal.

Die Entscheidung weist jedoch weit über die Frage hinaus, ob ein Branchenstandard kompatibel mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist. Sie stellt infrage, ob diese zurecht als Überwachungswerbung geschmähte Werbeform überhaupt noch praktiziert werden sollte. Denn das System des Targeted Advertising basiert darauf, dass Informationen über das Online-Verhalten an aberhunderte Firmen fließen. Doch wenn nicht privat bleibt, welche politischen Artikel Nutzer:innen lesen oder welche Pornos sie schauen, dann schränkt dies ihre Informations- und Kommunikationsfreiheit ein.

Alles andere als überraschend

Vertreter:innen der digitalen Zivilgesellschaft begrüßten den Schritt der Aufsichtsbehörde deshalb überschwänglich. Sie hatten das Verfahren mit koordinierten Beschwerden in mehreren EU-Ländern überhaupt erst in Gang gebracht. Bei Akteur:innen der Werbeindustrie stößt die Entscheidung auf die erwartbare Ablehnung. Der Bundesverband Digitalwirtschaft etwa kritisiert, dass dadurch „nahezu jegliche digitale Datenverarbeitung zur Finanzierung von digitalen Angeboten in Frage gestellt“ werde. Zudem sei es eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.

IAB Europe selbst wird die Entscheidung der Behörde wohl gerichtlich anfechten. Dabei ist diese im Ergebnis alles andere als überraschend. Seit Jahren weisen Datenschützer:innen darauf hin: Wenn man die DSGVO konsequent durchsetzt, funktionieren weder invasives Tracking noch verhaltensbasierte Werbung. Die dafür notwendigen Datenflüsse zwischen hunderten Playern des Werbe-Ökosystems sind weder für Seitenbetreiber:innen noch für Nutzer:innen nachvollziehbar. Sinnvoll intervenieren, etwa Einwilligungen zurückziehen wie es die DSGVO vorschreibt, können letztere schon gar nicht. Mal ganz abgesehen von den manipulativen Design-Tricks bei Cookie-Bannern, um sich die Einwilligung zu erschleichen.

Denn dass die nervigen Cookie-Banner wirklich zur Legitimation von Targeted Advertising beigetragen haben, dürften nicht einmal Branchenvertreter:innen selbst geglaubt haben. Die belgische Aufsicht stellt nun zudem erneut fest, was andere Datenschutzbehörden der Branche schon oft gesagt haben: Werbefirmen können sich als Rechtsgrundlage nicht auf ihr „berechtigtes Interesse“ am Datensammeln berufen. Es müsste schon eine echte Einwilligung sein, informiert und freiwillig.

Abschied vom Überwachungskapitalismus

Die Online-Werbebranche wird nun fieberhaft nach Wegen suchen, diese Einwilligung doch irgendwie einsammeln zu können. Oder sie wird versuchen, eine andere Rechtsgrundlage zu konstruieren. Das aber ist genau der falsche Weg. Die TCF-Entscheidung muss auch für die letzten, die mit Online-Werbung Geld verdienen, ein Weckruf sein: Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken. Denn nicht Online-Werbung ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie der Großteil von ihr heute funktioniert.

Zum Glück gibt es eine Alternative zur überwachungsintensiven Werbung, die lange erprobt ist: kontextbasierte Werbung, bei der die Anzeigen nicht auf das Profil der Nutzer:innen zugeschnitten sind, sondern auf den sonstigen Inhalt der Seite, auf der sie zu sehen sind. Also: Werbung für Sportmarken erscheint im Sportteilen von Online-Medien, Werbung für Kosmetik im Umfeld von Fashion-Blogs, Werbung für Autozubehör in PS-Foren. Offline, etwa in gedruckten Magazinen, hat das jahrzehntalge funktioniert und tut es bis heute. Einen besonderen Charm hat diese Werbeform, weil von ihr vor allem solche Seiten profitieren könnten, die ein seriöses und qualitativ hochwertiges Werbeumfeld anbieten.

Der Abschied von Targeted Advertising und dem dafür notwendigen, invasiven Tracking würde nicht von heute auf morgen gehen. Sie sind das zentrale Geschäftsmodell der neuen Wirtschaftsordnung, die die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff Überwachungskapitalismus nennt. Und sie sind der wohl einfachste Weg, im Netz Geld zu verdienen. Ein Paradigmenwechsel bei der Online-Werbung ist daher nur als ein langfristiges gesellschaftliches Projekt denkbar, bei dem viele mitmachen.

Ein Versuch von EU-Abgeordneten, Überwachungswerbung zu verbieten, ist kürzlich gescheitert. Deshalb kommt es jetzt auf die Werbebranche selbst an. Eine Studie der Grünen im Europarlament berichtete jüngst von mehreren erfolgreichen Pilotprojekten, kontextbasierte Werbung gilt als Wachstumsmarkt.

Das Stockholm-Syndrom der Presseverlage

Eine entscheidende Rolle beim Abschied vom Überwachungskapitalismus könnte Verlagen und Medienhäusern mit ihren journalistischen Online-Angeboten zukommen. Ihre Werbeeinnahmen sind im Vergleich zu denen großer Social-Media-Plattformen gering. Trotzdem verfügen sie mit Millionen täglichen Besucher:innen gemeinsam über einen so relevanten Anteil der hochwertigen Anzeigenflächen im Netz, dass sie entscheidend dazu beitragen könnten, den Markt zu drehen.

Doch während Journalist:innen in ihren Blättern die Machenschaften der Datenindustrie aufdecken und die Auswüchse des Überwachungskapitalismus anprangern, haben sich ihre Arbeitgeber:innen in die Gefangenschaft eben dieser Industrie begeben. Mit den Jahren haben sie dabei eine Art Stockholm-Syndrom entwickelt. Seite an Seite mit Google, Facebook und Co. lobbyieren Verlage und Presseverbände in Brüssel und Washington gegen eine strengere Regulierung oder gar die Abschaffung von invasivem Targeting.

Eisern halten die Verlage an einem Geschäftsmodell fest, von dem längst klar ist, dass auch zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Nachteil funktioniert. Die Schätzungen, wieviel Cent von einem Werbeeuro bei ihnen hängen bleiben, gehen auseinander. Der britische Guardian etwa spricht von 30 Prozent oder weniger. Google behauptet, es seien 70 Prozent und mehr. Für viele Medien dürfte die Zahl irgendwo dazwischen liegen. Klar ist jedoch, dass ein sehr relevanter Teil des Geldes an die zwischengeschalteten Online-Werbeunternehmen geht. Allen voran Google und Facebook, die sich offenbar mit geheimen Absprachen den Markt aufgeteilt und die Konkurrenz vom Leib gehalten haben.

Die Verlage hätten sich deshalb schon längst von dieser Werbeform verabschieden sollen. Dass sie es nicht getan haben, ist kein Grund, das Projekt nicht heute anzugehen. Die Entscheidung der belgischen Datenschutzaufsicht zeigt: Der nächstbeste Zeitpunkt dafür ist jetzt.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires